Süddeutsche Zeitung

Null Acht Neun:Wenn die orange Warnweste zum roten Tuch wird

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Den ersten Imageschaden erlitt die Warnweste wegen der Gelbwestenbewegung. Und heute? Rufen manche Verkehrsteilnehmer panisch den Notruf, wenn sie eine leuchten sehen.

Glosse von Andreas Schubert

Die Warnweste an sich ist eigentlich eine gute Sache. Viele Radler tragen sie, um auch in der Dämmerung noch ein leuchtendes Vorbild für die Verkehrswende zu sein. Als Autofahrer sieht man sie dann schon von Weitem und bremst mit einem heiteren Lächeln, wenn sich so ein Radler oder eine Radlerin an der roten Ampel mal wieder die moralisch höchst berechtigte Vorfahrt nimmt.

Die Warnweste war einst die Gucci-Tasche unter den Funktionskleidungsstücken. Wer sie trug, fiel auf. Und sie weckte Sehnsüchte nach Urlaub in bella Italia, wo sie schon in den Nullerjahren an der Strada del Sole zum Erscheinungsbild gehörte.

Neben Sonnencreme und Badehose war sie fester Bestandteil des Urlaubsgepäcks - und beim Beladen des Autos summte man nicht selten fröhlich "pack die Warnweste ein, . . ., und dann nichts wie ab zum Gardasee". Die Italiener hatten es vorgemacht: Wenn man schon mit einer Panne am Straßenrand liegenbleibt, dann wenigstens stilvoll - und wie so oft in Modefragen zog der Rest Europas irgendwann nach.

Dann stürzte die Warnweste wegen der Gelbwesten-Bewegung in Frankreich imagemäßig auf das Niveau von Moon-Washed-Jeans und Ed-Hardy-Leiberl ab. Die Gilets Jaunes, das waren die mit den brennenden Straßenblockaden und Benzin im Hirn.

Die Klima-Aktivisten heute sind da freilich komplett anders. Bei ihnen ist die Warnweste ein Symbol für den friedlichen und freundlichen Hinweis, dass das mit der Erderwärmung doch so nicht weitergehen könne. Für viele benzin- und dieselaffine Menschen sind die gelben oder orangen Westen wiederum ein rotes Tuch, weil deren Träger ihnen die freie Fahrt verwehren. Da sehen auch die bayerische Justiz und die Exekutive rot, für sie ist die Warnweste so etwas wie das Hells-Angels-Logo der Sekundenkleber-Mafia.

Das hat in München nicht nur für auf der Straße klebende Männer und Frauen Konsequenzen. Wie jetzt in der Abendzeitung zu lesen war, sind auch Bauarbeiter nicht vor spontanen Polizeikontrollen gefeit. Verkehrsteilnehmer sollen gar panisch den Notruf wählen, sobald es in der Ferne irgendwo neongelb oder-orange leuchtet.

Die Angst vor Stau ist größer als vor dem Klimakollaps. Wegen Letzterem ist schließlich noch keiner zu spät zum Feierabendbier gekommen. Wenn das passiert, heulen die am Steuer lauter als ihre Motoren, das wollen sich auch die schwerhörigsten Vertreter von Recht und Ordnung nicht lange anhören.

Also lieber gleich mal alle Warnwestenträger pauschal verdächtigen. Damit die Personalien-Aufnahmen seine Leute nicht vom Arbeiten abhalten und sich die Baustellen in der Stadt nicht noch weiter verzögern, soll das Baureferat bereits über neonpinke Warnwesten nachdenken, um Verwechslungen mit Klima-Klebern auszuschließen. Pretty in pink am Presslufthammer, ein Barbie-Outfit für Bauarbeiter: Wenn das mal nicht das It-Accessoire des Jahres wäre!

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