Süddeutsche Zeitung

Waffen für den Nordirak:Die Bundesregierung muss konkret werden

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Von der CDU bis zur Linken diskutiert man, ob Deutschland Kurden und Iraker Waffen liefern soll, um die Terrormilizen des Islamischen Staates zu stoppen. Wie kam es dazu, dass jahrzehntealte Gewissheiten so schnell aufweichen? Leitet Schwarz-Rot einen Kurswechsel ein?

Kommentar von Stefan Braun

Es ist atemberaubend, mit welcher Geschwindigkeit die deutsche Politik sich in diesen Tagen selbst unter Druck setzt und immer mehr Hilfen anbietet: Am Montag ging es noch um einige Millionen Euro humanitäre Hilfe für Nordirak, am Dienstag um militärische Ausrüstung wie Helme, gepanzerte Fahrzeuge und Nachtsichtgeräte.

Inzwischen wird von der Linkspartei bis zur CDU darüber diskutiert, ob man Irakern und Kurden im Kampf gegen die Terrormilizen des Islamischen Staates (IS) auch Waffen liefern soll, um einen drohenden Genozid an der Gemeinschaft der Jesiden und der chaldäischen Christen zu verhindern. Ein paar Tage haben genügt, Gewissheiten aus den letzten Jahrzehnten aufzuweichen. Fehlte nur noch, dass Sigmar Gabriels Vorschlag, Schutzzonen einzurichten, verbunden wird mit dem Angebot, zum Schutz dieser Schutzzonen deutsche Soldaten einzusetzen.

Jetzt ist der Moment gekommen, um konkret zu werden

Doch bei allem Tempo, das schwindlig machen kann, lohnt es sich, kurz innezuhalten. Denn bislang hat sich nur eines wirklich geändert: Dass diese rot-schwarze Regierung im Angesicht der humanitären Katastrophe im Nordirak die Praxis beendet hat, mit einem sofortigen Nein zu Rüstungs- und Waffenlieferungen jede Debatte darüber abzublocken, was für und was gegen derartige Hilfen sprechen könnte. Diese Entscheidung muss kein Schaden sein, im Gegenteil.

Sollte sich die Politik ernsthaft mit der Frage befassen, welche Verantwortung ein Land wie Deutschland in so einem Moment hat und welche Grenzen es sich trotzdem auferlegen möchte, dann wäre das ein großer Fortschritt. Als der Bundespräsident, der Außenminister und die Verteidigungsministerin am Jahresanfang über mehr deutsche Verantwortung in der Welt sprachen, blieben Begründung und Konsequenzen vage. Jetzt ist offenkundig der Moment gekommen, um konkreter zu werden.

Viel zu konkret nämlich ist, was im Irak geschieht. Sollten die mordenden Terrormilizen, die jede zivilisatorische Errungenschaft mit Füßen treten und auf größtmögliche Grausamkeit setzen, nicht gestoppt werden, würde Zigtausenden Jesiden und Christen der Tod drohen. Und kein Politiker könnte vor sich oder den eigenen Wählern rechtfertigen, nicht alles zur Verhinderung eines solchen Massenmordes versucht zu haben. Es gehört zum kollektiven Gedächtnis Europas, dass es bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Ruanda und Srebrenica weggesehen hat. Deshalb gehört es heute zur zentralen Verantwortung gewissenhafter Regierungen, so etwas nicht noch einmal zuzulassen.

Das erklärt jedoch nicht die Geschwindigkeit, mit der Berlin jetzt eherne Grundsätze infrage stellt. Diese erschließt sich erst durch die dramatische Notlage der verfolgten Minderheiten im Nordirak, deren Schicksal sich nicht mehr in Wochen, sondern in Tagen oder Stunden entscheidet. Und es erklärt sich nur durch eine Gemengelage, wie es sie so vielleicht noch nie gab in der jüngeren Geschichte. Denn der Konflikt mit den mordenden Terrorbanden der IS ist nicht geprägt von Grautönen und schwierigen Abwägungen.

In diesem Fall lassen sich Schwarz und Weiß, Böse und Gut glasklar unterscheiden. Hier eine Terrororganisation, die sich zwar auf den Islam beruft, aber alles und jeden sprichwörtlich mit dem Schwert zerstört, auch friedliebende Muslime. Und dort die Christen und die Jesiden, die von den Aggressoren auf den Berg getrieben wurden.

Solidarität und Mitgefühl mit den Bedrohten vermengen sich mit schlimmsten Horrorvorstellungen von Islamisten, die die Welt anzünden. So verheerend und falsch dieses Bild ist, weil die Terrorbanden in Wahrheit auch die zentralen Grundsätze ihrer eigenen Religion zerstören wollen, so sehr erklärt es doch, warum sich die Debatte in Deutschland so beschleunigen konnte.

Nun muss man konkret werden

Damit daraus wirklich Gutes erwächst, muss die Regierung jetzt sehr offen erklären, was sie warum tun und was sie am Ende doch lassen möchte. Dazu passt nicht, dass der Außenminister ankündigt, er wolle an die Grenzen des politisch und rechtlich Machbaren gehen, ohne dass er diese Grenzen konkret benennen würde.

Und dazu passt auch nicht, dass die Verteidigungsministerin ankündigt, alles Nötige und Mögliche werde alsbald verpackt und in die Region geflogen, während der Regierungssprecher erklärt, erst mal müssten die Bedürfnisse im Irak und die Arbeitsteilung in der EU geprüft werden. So gewinnt die Regierung keine Unterstützung für heikle Beschlüsse; so gefährdet sie ihren Anspruch, auf die Lage im Irak die richtige Antwort zu geben.

Sollte Schwarz-Rot angesichts der Dramatik wirklich einen Kurswechsel einleiten wollen, dann muss es ihn anders präsentieren und besser begründen.

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Quelle:
SZ vom 14.08.2014
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