Süddeutsche Zeitung

Impeachment gegen Trump:Nicht klug, aber alternativlos

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Es spricht viel gegen ein weiteres Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Donald Trump. Und doch: Es muss sein.

Kommentar von Christian Zaschke

Auf den ersten Blick gibt es zum Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump keine Alternative. Der Präsident trägt zweifelsohne persönliche Schuld am Sturm seiner Anhänger auf das Kapitol. Wochenlang hatte er ohne Grundlage die Legitimität der Wahl infrage gestellt und seiner Basis wiederholt gesagt, sie müsse kämpfen, andernfalls habe sie "kein Land mehr". Schließlich forderte er sie in der vergangenen Woche direkt auf, zum Kapitol zu marschieren. Wie könnten die Demokraten da tatenlos bleiben?

Auf den zweiten Blick spricht einiges gegen das Impeachment. Joe Biden hat wieder und wieder gemahnt, das Land müsse jetzt zusammenkommen und heilen. Ganz abgesehen davon, dass das illusorisch ist, wird ein Amtsenthebungsverfahren das genaue Gegenteil bewirken. Trumps Anhänger werden zusammenrücken und unter Umständen weitere Aufmärsche veranstalten. Im schlimmsten Fall bringen sie diesmal ihre Waffen mit.

Trumps zornige Anhänger werden in Wallung geraten

Zudem wird das beherrschende Thema zum Beginn von Bidens Amtszeit weiterhin Trump sein. Niemand wird über Klimaschutz reden wollen, über Investitionen in die Infrastruktur, über den Kampf gegen Covid-19. Es wird von morgens bis abends um Trump gehen, und wer den Präsidenten ein wenig kennt, der weiß, dass ihm das im Zweifel sogar gefällt. Nach dem ersten Versuch der Amtsenthebung vor einem Jahr waren seine Beliebtheitswerte höher als zuvor.

Nicht zuletzt ist es unwahrscheinlich, dass die Demokraten im Senat 17 Republikaner finden, die mit ihnen stimmen. Das wäre jedoch nötig, da es eine Zweidrittelmehrheit in dem hundertköpfigen Gremium braucht, um den Präsidenten aus dem Amt zu entfernen. Zwar steht die Partei längst nicht mehr so geschlossen hinter Trump wie vor einem Jahr, und der einflussreiche Taktiker Mitch McConnell hat durchsickern lassen, dass er gegen Trump stimmen könnte. Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass die Absetzbewegungen so umfassend sind, dass es tatsächlich für eine Amtsenthebung reicht.

Und doch: Der Staat muss sich wehren gegen Angriffe auf seine Grundfesten

Das Ganze könnte ein Spektakel werden, das Trumps ohnehin zornige Basis mit zusätzlicher Energie auflädt, den Republikanern ein Thema bietet, hinter dem sie sich versammeln können, und an dessen Ende Trump erneut ungeschoren davonkommt.

Ganz abgesehen von diesen Überlegungen steht die Frage im Raum, ob es juristisch überhaupt möglich ist, ein solches Verfahren gegen einen Präsidenten zu führen, der nicht mehr im Amt ist. Dazu gibt es verschiedene Ansichten, vermutlich müsste der Supreme Court diese Frage klären. Es droht ein langer, ein komplizierter, ein quälender Prozess. Wäre es daher nicht weiser zu warten, bis Trump am 20. Januar ohnehin aus dem Amt scheidet und sich an die Aufräumarbeiten zu machen?

Zwei Dinge sprechen dagegen. Erstens hoffen die Demokraten, dass vielleicht doch genügend Republikaner mit ihnen stimmen. Zweitens fühlen sie mit einigem Recht, dass sie in Anbetracht der ungeheuerlichen Vorfälle nicht untätig bleiben dürfen. Dass sie auch für künftige Generationen deutlich machen müssen, dass das Unterminieren des demokratischen Prozesses und das Aufstacheln von Teilen des Volkes gegen die Grundfesten des Staates nicht folgenlos bleiben kann. Es mag in Fragen der Praktikabilität und der politischen Taktik nicht die klügste Entscheidung sein, ein zweites Impeachment anzustrengen. Aber sie ist alternativlos.

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