Süddeutsche Zeitung

Chile:Zurück in die Zukunft

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Der rechtskonservative Politiker José Antonio Kast will neuer Präsident in Chile werden - und beruft sich dabei ausgerechnet auf den Diktator Pinochet.

Von Christoph Gurk

Politik ist ein schnelllebiges Geschäft, doch manchmal gibt es Sätze, die noch Jahre später nachhallen. So stammt das Zitat, dass im Falle von José Antonio Kast immer wieder herausgezogen wird, sogar noch aus dem Jahr 2017: Damals bewarb sich der konservative Politiker das erste Mal um das Präsidentenamt in Chile, ein Außenseiter vom rechten Rand, der die Pinochet-Diktatur der 1970er- und 1980er-Jahre wegen ihrer Wirtschaftspolitik lobte. "Wäre Pinochet am Leben", sagte Kast in einem Radiointerview, "dann würde er mich wählen."

Schon damals sorgte der Satz für Ärger. Zehntausende Menschen wurden während der Diktatur entführt, inhaftiert und gefoltert, Tausende ermordet. 1990 kehrte Chile zur Demokratie zurück, 2006 starb Pinochet. Doch selbst wenn der Diktator 2017 bei den Wahlen noch am Leben gewesen wäre, hätte seine Stimme Kast nichts genutzt: Nur 8 Prozent holte er, ein weit abgeschlagener vierter Platz. Doch an diesem Sonntag stimmt Chile abermals über einen Präsidenten ab - und ausgerechnet Kast liegt in den Umfragen auf einmal ganz vorne. Ein Schock für die gemäßigten Konservativen, ein Albtraum für die Linke. Wie konnte das passieren?

55 Jahre alt ist José Antonio Kast Rist, Sohn eines deutschen Wehrmachtsoffiziers, der nach dem Krieg nach Chile emigriert war. Kast besuchte eine deutsche Schule in Santiago, im Anschluss studierte er Jura, bald aber stieg er in die Politik ein. Erst engagierte Kast sich in der Lokalpolitik, dann wurde er Mitglied der Abgeordnetenkammer, stets trat er dabei für die Unión Demócrata Independiente (UDI) an, eine Partei, die noch unter Pinochet gegründet worden war, von einem der engsten Berater des Diktators. Erst 2016 verließ Kast die UDI, um für das Präsidentenamt zu kandidieren.

Manche Chilenen sehnen sich nach der Vergangenheit - und niemand steht mehr für sie als Kast

Chile war damals noch ein anderes Land. Die Pandemie hat heute Tausende Familien aus der Mittelschicht in die Armut abstürzen lassen. Dazu kommen die riesigen Massenproteste, die von 2019 an die Gesellschaft bis ins Mark erschüttert haben. Entzündet hatten sie sich an einer Erhöhung des Fahrpreises in der U-Bahn der Hauptstadt, bald ging es aber um viel mehr, soziale Ungleichheit, ein verkrustetes System, die Dominanz alter Ideen und noch älterer Eliten. Es gab Hunderte Verletzte, am Ende wurde eine Verfassunggebende Versammlung eingesetzt, geschlechterparitätisch besetzt und angeführt von einer Akademikerin vom indigenen Volk der Mapuche. Dazu stellte die Linke einen ehemaligen Studentenführer als Präsidentschaftskandidat auf, Gabriel Boric, tätowiert und gerade einmal 35 Jahre alt. Vieles scheint auf einmal in Bewegung zu sein in Chile. Doch was die einen feiern, macht anderen Angst.

Statt in eine neue Zukunft wollen manche Chilenen lieber wieder zurück in die Vergangenheit - und niemand steht mehr für sie als Kast. Der überzeugte Katholik ist gegen die gleichgeschlechtliche Ehe und Abtreibung, gegen Immigranten und absolute Gleichberechtigung. Er verbreitet all diese Botschaften vor allem über die sozialen Netzwerke: Auf Twitter werden seine Parolen verschlagwortet und zehntausendfach geteilt, #atrevete und #TodoVaEstarBien, trau dich und alles wird gut. Dazu gibt er auf Tiktok den sympathischen Spaßvogel, mit Laserschwert in der Hand, mit Witzchen und Tänzchen. Es sind Formeln, mit denen auch schon andere rechts-populistische Politiker in der Region Erfolg hatten, angefangen bei Jair Bolsonaro in Brasilien bis hin zu Nayib Bukele in El Salvador.

Am Ende wird es für Kast bei den Wahlen am Sonntag aber wohl dennoch nicht für eine absolute Mehrheit reichen. Er wird in die Stichwahl müssen, vermutlich gegen Boric, den jungen Kandidaten der Linken. Für Chile wäre das nicht weniger als eine Richtungsentscheidung, manche sprechen sogar von der wichtigsten Wahl seit dem Ende der Diktatur. Und klar ist: Jede Stimme zählt.

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