Süddeutsche Zeitung

Nahostkonflikt:Eine einzige Kugel

Wer ist schuld am Tod der bekannten Journalistin Shireen Abu Akleh? Israelis wie Palästinenser scheinen an der Wahrheit wenig Interesse zu haben, sofern sie nicht den eigenen Interessen dient.

Kommentar von Peter Münch

Ein Schuss in den Kopf hat das Leben der Al-Jazeera-Journalistin Shireen Abu Akleh beendet, am Freitag wurde sie in Jerusalem beerdigt, begleitet von schockierenden Zusammenstößen. Gestorben ist sie als Unbeteiligte in einem Feuergefecht zwischen israelischen Soldaten und Palästinensern in Dschenin, doch ihr Tod steht nun im Mittelpunkt ganz anderer Gefechte: Die drehen sich um die Frage, wer die tödliche Kugel abgegeben hat - und es geht dabei längst nicht nur um die Wahrheitsfindung. Gekämpft wird ums Narrativ.

Der Fall reiht sich damit nahtlos ein in das Muster dieses ewigen Konflikts: Solange jede Seite ihre Wahrheit verkünden oder die der anderen Seite anzweifeln kann, scheinen beide zufrieden zu sein. So sprechen die Palästinenser ohne endgültige Klärung bereits von einem "kaltblütigen Mord" durch die israelische Armee - und weisen die Aufforderung aus Israel zurück, den Fall gemeinsam zu untersuchen. Die Israelis nehmen das heimlich dankend zum Anlass, den Palästinensern zu unterstellen, sie hätten etwas zu verbergen.

Im Zweifel für den Zweifel - dieses Motto lässt den Konflikt stetig köcheln. In diesem Fall zumindest lässt sich dieses Muster jedoch durchbrechen. Shireen Abu Akleh war eine bekannte TV-Reporterin, und sie besaß die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Das sollte für genügend Druck von außen sorgen, um eine unabhängige internationale Untersuchung einzuleiten. Die getötete Journalistin wird nun viel gelobt für ihre im Job verfolgte Suche nach Wahrheit. Auch das verpflichtet nun dazu, die zweifelsfreie Wahrheit über ihren Tod herauszufinden.

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