Süddeutsche Zeitung

Flüchtlinge in Griechenland:Europa duckt sich weg

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Mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wollte Horst Seehofer ein gerechteres Asylsystem auf den Weg bringen. Erreicht ist wenig, außer neuem Elend. Aber Europa kneift. Das gilt auch für die deutschen Grünen.

Kommentar von Constanze von Bullion

Als vor drei Monaten das Flüchtlingslager Moria niederbrannte, zeigte Europa sich entsetzt. Untragbare Zustände, eine Schande, jetzt wird gehandelt, hieß es damals. Der Brand galt als Signal zum Aufbruch in ein gerechteres europäisches Asylsystem. Das war, man ahnte es, leider Heuchelei. Das Elend auf den griechischen Inseln hat sich seither noch gesteigert, aber den Rest des Kontinents schert das kaum. Und schlimmer noch: Es ist von vielen gewollt.

Anders lässt sich das Schulterzucken nicht erklären, mit dem Europa auf die Bilder reagiert, die seit Wochen von der griechischen Insel Lesbos kommen. In sozialen Medien sehen vorweihnachtlich bewegte Wohlstandsbürger die braune Brühe, die Geflüchteten in die Zelte läuft. Teile des Truppenübungsplatzes, auf den 7800 Migranten nach dem Brand in Moria umgesiedelt wurden, saufen bei Regen buchstäblich ab.

Hilfsorganisationen berichten von nächtlichem Rattenbesuch an der Bettstatt und von traumatisierten Kindern. Eine Dreijährige soll schwer verletzt auf einer Toilette gefunden worden sein, mutmaßlich vergewaltigt. Und die Europäische Union? Hat sich abgewandt.

Dabei war ein Neustart in der Migrationspolitik versprochen, von Brüssel und von Bundesinnenminister Horst Seehofer. Er wollte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft nutzen, um das Gemeinsame Europäischen Asylsystem voranzubringen. Schnellere Verfahren an den EU-Außengrenzen wurden angekündigt, ein Schlüssel zur Flüchtlingsverteilung und Abschiebung, Entlastung der Mittelmeerstaaten.

Nicht alles, was vorgeschlagen wurde, war gut. Aber darauf kam es sowieso bald nicht mehr an. Die EU-Oberhäupter schrieben viel Papier voll - aber leider, leider kam dann wieder Wichtigeres dazwischen. Ergebnis: Nichts ist umgesetzt.

Tausende Menschen halten zur Abschreckung her

Zum Ende der deutschen Ratspräsidentschaft lässt Seehofer nun mildes Licht auf seine Bilanz fallen. 1433 Geflüchtete von griechischen Inseln habe Deutschland aufgenommen, immerhin. Und trotz vieler offener Fragen in der Migrationspolitik sei die deutsche EU-Ratspräsidentschaft ein "riesiger Erfolg".

Natürlich glaubt das nicht mal Seehofer selbst. Aber das ist auch gar nicht nötig. Denn jenseits kleiner humanitärer Gesten und vergeblicher Anläufe, die der Bundesinnenminister nicht allein zu verantworten hat, erfüllt das Elend auf den griechischen Inseln noch einen ganz anderen Zweck.

Tausende Menschen halten zur Abschreckung her. Jedes Bild von Matsch und Elend aus den Camps sendet ein unmissverständliches Signal in die Welt: Bleibt weg. Migration nach Europa ist ein Albtraum.

Die griechische Regierung setzt ihre Abschreckungspolitik auch mit Pushbacks fort, dem rechtswidrigen Abdrängen von Flüchtlingsbooten. Man lässt sie. Europäische Rechtsnormen gehen da zuschanden, Menschenrechte sowieso. Das kann so nicht bleiben.

Nicht nur Regierende, auch Zivilgesellschaft und Kirchen müssen wieder Druck machen, um die unerträglichen Zustände zu beenden. Auch Deutschlands Grüne können sich nicht länger wegducken.

Bei der Migrationspolitik ist die Partei zuletzt still geworden, schließlich will sie in bürgerlichen Milieus punkten. Ohne Rechtsstaatlichkeit in ganz Europa aber und ohne Grundrechte für alle sind die Versprechen der demokratischen Bürgergesellschaft nichts wert. Lager räumen, Menschen verteilen, notfalls auf einen kleinen Kreis der Willigen in Europa. Es geht.

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