Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Erpressung

Ein Begriff aus dem Strafgesetzbuch - und aus dem Mund des polnischen Premiers.

Von Wolfgang Janisch

Wenn man die Welt einmal kurz aus der Warte von Mateusz Morawiecki betrachtet, dann kann man seine Wortwahl ein wenig nachempfinden. Gleich viermal hintereinander benutzte der polnische Ministerpräsident in seiner Rede im EU-Parlament die Worte "Erpressung" und "erpressen". Denn um Polen auf den Pfad der Rechtsstaatlichkeit zu zwingen, will die EU für Polen bestimmte Gelder zurückhalten. Das kann, wer sich im Recht fühlt, schon erpresserisch finden, zumindest umgangssprachlich. Schaut man ins deutsche Strafgesetzbuch, findet man in Paragraf 253 sogar ein paar Formulierungen, die auch Morawiecki herauspicken könnte. Wer jemanden mit einem "empfindlichen Übel" zu einer Handlung oder Unterlassung nötigt und dadurch dessen Vermögen einen Nachteil zufügt, kann sich der Erpressung schuldig machen. EU-Gelder gestrichen zu bekommen, ist sicher ein "empfindliches Übel", und ein Nachteil ist es sowieso. Allerdings, so heißt es dort weiter, muss dies "rechtswidrig" geschehen, "um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern". Der Rechtsstaatsmechanismus, den die EU hier geschaffen hat, ist aber kein Unrecht, es sei denn, der gerade damit befasste Europäische Gerichtshof sollte dies überraschenderweise anders sehen. Vorerst aber bleibt die Streichung der Gelder zwar ein "empfindliches Übel" - aber das Recht wäre aufseiten der EU.

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