Süddeutsche Zeitung

Profil:Gerne auch mal uncharmant

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Olivia Colman hat für ihre Rolle als Queen Elizabeth den Emmy gewonnen - sie ist eine Schauspielerin mit manchmal ungewöhnlichen Erwartungen ans Drehbuch.

Von Susan Vahabzadeh

Großer Erfolg hat immer auch ein wenig mit Glück zu tun, und so kommt es, dass Olivia Colman zwar eine der besten Schauspielerinnen ihre Generation ist - und doch recht spät so richtig durchgestartet ist. Colman wurde 1974 in Norwich geboren, und sie hat nach ihrem Schauspielabschluss in Bristol 1999 bald kontinuierlich gearbeitet, in einer britischen Sitcom nach der anderen. Es dauerte aber mehr als ein Jahrzehnt, bis sie plötzlich fürs Kino entdeckt wurde, für ein viel breiteres Rollenspektrum - und vor allem als Hauptdarstellerin, die einen Film oder eine Serie trägt. Die Krimiserie "Broadchurch", in der sie 2013 eine Ermittlerin spielte, katapultierte sie ins internationale Geschäft.

Seither regnet es Preise auf sie herab, und am Sonntag ist ein weiterer dazugekommen: Da hat sie einen Emmy bekommen. Insgesamt elf der Preise räumte die Netflix-Serie "The Crown" ab, und den als beste Schauspielerin in einer Hauptrolle bekam Olivia Colman, die seit der dritten Staffel Königin Elizabeth spielt. Ihre Elizabeth ist ein bisschen hin- und hergerissen zwischen Pflichtgefühl und der Sehnsucht nach einem alternativen Lebensentwurf. In der Szene, in der sie Lord Mountbatten zur Ordnung ruft, der sich Verschwörern gegen Premier Harold Wilson anzuschließen droht, hat sie ein ganz leichtes Zittern in der Stimme. Das ist sehr nuanciert, aber Olivia Colman kann als Schauspielerin noch viel mehr.

Es gibt da noch eine andere Königin, der Olivia Colman ihren Stempel aufgedrückt hat: Queen Anne im Kinofilm "The Favourite" von Yorgos Lanthimos. Man kann da sehr schön nachvollziehen, worin ihre Besonderheit als Schauspielerin besteht: Sie spielt die Königin zu Beginn des 18. Jahrhunderts, kränkelnd, wankelmütig. Aber Anne ist eine reizlose, uncharmante Frau- ihre Sehnsucht, geliebt zu werden, macht sie manipulierbar, doch letztlich kann sie sich immer rächen, denn sie hat ja die Macht. Und das spielt Olivia Colman ohne jede Eitelkeit. Der Traum einer jeden Schauspielerin sei diese Rolle, hat sie gesagt: "Sie ist verwöhnt, traurig, empfindlich und grausam."

Wenn sie nicht dreht, lebt sie als Sarah Sinclair

Einer Versuchung konnte sie schon immer widerstehen: ihre Figuren so zu gestalten, dass sie jeder ins Herz schließt. Schon bei einem ihrer ersten Engagements bei einer britischen Sitcom bat sie darum, ihre Rolle weniger sympathisch zu schreiben. Es gibt nicht viele Schauspielerinnen, die sich so frei machen können von der Angst, die Wahrnehmung einer solche Rolle könnte die Wahrnehmung ihrer Person überlagern. Es hat sich gelohnt: Olivia Colman hat für "The Favourite" 2019 den Oscar als beste Hauptdarstellerin bekommen. Und für Maggie Gyllenhaals Film "The Lost Daughter", nach dem Roman von Elena Ferrante, gilt sie auch für die nächste Oscar-Saison schon wieder als Kandidatin - so berührend und eindringlich spielt sie diese Frau, die einen Groll im Herzen trägt, weil es so schwer gewesen ist, Professorin zu werden und Mutter zu bleiben. Als reine Frauen-Combo hat sie mit Regisseurin Gyllenhaal und Co-Star Dakota Johnson für die Fotografen in Venedig posiert, wo der Film soeben beim Festival Premiere hatte - und auch dort konnte man wieder sehen, wie einzigartig sie ist. Sie verströmt nämlich tatsächlich als reale Person auf dem roten Teppich mehr Glamour als auf der Leinwand.

Dass sie das schafft, hat vielleicht damit zu tun, dass sie eine Art Doppelleben führt - zumindest glaubt sie selbst, dass es damit zu tun hat. Es gibt für sie noch eine andere Welt, in der trägt sie ihren bürgerlichen Namen Sarah Sinclair, ist dreifache Mutter und verheiratet. "Die Leute sagen, ich sei in meiner Rollenauswahl so mühelos entspannt", hat sie gesagt. "Ich weiß nicht, ob das stimmt - ich versuche nur, leichtherzig an meinen Beruf heranzugehen, denn so wichtig er auch sein mag, er ist nie wichtiger als meine Familie." Das sei ihr Rezept.

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