Süddeutsche Zeitung

Migrationspolitik:Einfach mal machen

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Das neue Aufenthaltsrecht ist keine große Revolution. Für Menschen, die gut darin sind, ihre Chancen zu ergreifen, öffnet es aber eine Tür - und das ist das Entscheidende.

Kommentar von Meredith Haaf

Manchmal werden in der Politik Entscheidungen getroffen, die man einerseits hinsichtlich ihres Reformpotenzials maximal als "Revolutiönchen" bezeichnen kann - die aber andererseits durchaus das Zeug haben, die jeweilige Gesellschaft nachhaltig zu verändern. Der jetzt vom Bundeskabinett beschlossene Plan, das Aufenthaltsrecht zu liberalisieren, ist nicht die große Zeitenwende in der Einwanderungspolitik, die in Deutschland von vielen erhofft und von einigen befürchtet wird. Aber für die Sache ist das vielleicht sogar ganz gut.

Auch wenn Deutschland 2015 auf einen Schwung eine Million Menschen aufgenommen hat - grundsätzlich ist es ein Land geblieben, in das es sich eher schwer einwandert. Das erfahren nicht nur Geflüchtete an den immer stärker befestigten EU-Außengrenzen. Davon können sowohl Menschen mit Aufenthaltstiteln hierzulande als auch explizit angeworbene und "gewollte" Fachkräfte, Wissenschaftlerinnen oder ITler erzählen. Unmoderne, undurchsichtige Verfahren, Fristen und Regelungen gerinnen zu einer Einwanderungskultur unter dem Motto "Bitte bleiben Sie draußen, das macht es uns allen leichter".

Eine besondere Spezialität ist die sogenannte Kettenduldung: die Jahr für Jahr verlängerte Perspektivenarmut für Menschen, die unter dem geltenden Asylrecht keine Aufenthaltsgenehmigung erhalten, aber unter der geltenden Realität auch nicht einfach zurück in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können. Sie haben als Letzte Anspruch auf Arbeit - und finden so nur schwer eine eigene Wohnung. Bekommen sie hier Kinder, droht auch diesen potenziell die Abschiebung. Ihre Ausbilder und Arbeitgeber müssen immer damit rechnen, dass ihre Leute über Nacht ins Abschiebezentrum gebracht werden.

Ein bisschen mehr Anreize, sich hier auszubilden und etwas aufzubauen, kann diese Gesellschaft schon vertragen

Dennoch gelingt es vielen Geduldeten, Fuß zu fassen. Das von Innenministerin Nancy Faeser vorgelegte Chancen-Aufenthaltsrecht belohnt solche Einsatzbereitschaft nach fünf Jahren. Es macht es also vor allem etwas leichter für Leute, die ohnehin gut darin sind, auch die kleinsten Möglichkeiten zu ergreifen, es ist ziemlich leistungsorientiert. Die Union kritisiert, dass hier Anreize geschaffen würden. Aber ein bisschen mehr Anreiz, sich hier auszubilden und etwas aufzubauen, kann diese Gesellschaft schon vertragen. Dass dabei ein "Pull-Effekt" für illegale Migration zu erwarten sei, ist bestenfalls weltfremd: Weltweit herrschen gerade so starke Push-Effekte, dass es da auf eine kleine Einwanderungsreform hin oder her wohl kaum ankommt.

Einen wunden Punkt trifft die Kritik des CDU-Innenpolitikers Alexander Throm allerdings sehr wohl: Die Reform führe das Asylrecht ad absurdum, wenn aus einem abgelehnten Asylantrag irgendwann doch ein Aufenthalt werden könne. Das kann nur durch die Beschleunigung der Verfahren behoben werden. Wer weiß, dass er oder sie kein Asyl bekommt, kann sich dann um die Chance auf Aufenthalt bemühen - ein etwas kürzerer Zeitraum als fünf Jahre dafür wäre allerdings menschenfreundlicher.

Wer einen Haushalt hat, kennt das Problem: Vor einem Chaos stehend, kann man entweder das Chaos verfluchen und dann die Tür davor zumachen, oder man räumt halt ein bisschen auf. Damit hat die Ampel jetzt angefangen. Dass sie gar nicht erst versucht, alles auf einen Streich zu erledigen, mag auf manche mutlos wirken. Aber es senkt die Wahrscheinlichkeit für großes Gegengetöse, und das ist viel wert. Eine Tür geht auf. Das kann für viele Einzelne mehr bedeuten als jede Revolution.

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