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Proteste zum 1. Mai in Berlin:Tag der Randale - und des friedfertigen Protests

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Fast 100 verletzte Beamte nach der linken Demo zum 1. Mai, das ist eine üble Bilanz. Aber sie darf nicht verdecken, dass viele andere Versammlungen gut verlaufen sind.

Von Jan Heidtmann, Berlin

Holzpaletten und Papiercontainer brannten, Flaschen und Steine flogen, fast 100 Beamte wurden verletzt- an diesem 1. Mai erlebte Berlin die heftigsten Ausschreitungen seit Jahren. Wie genau es dazu kommen konnte, das muss nun untersucht werden. Die Bilanz der linken, so genannten "Revolutionären 1. Mai Demonstration" ist jedenfalls übel, so viel ist klar. Aber es ist nur eine Bilanz dieses Tages der Arbeit, der ansonsten ein Erfolg war.

Wie in einem Brennglas konzentrieren sich in der Hauptstadt all die Konflikte, die die Gesellschaft derzeit auszutragen hat. Da ist das Problem der stetig steigenden Mieten, gegen die es keine wirklich wirksame Handhabe gibt. Da sind die Rückzugsorte links-alternativer Projekte, die in den vergangenen Monaten geräumt wurden. Da sind die sozialen Ungerechtigkeiten, die durch die Folgen von Corona teils brutal offen gelegt werden. Die Polizei fürchtete einen diffizilen und auch gewalttätigen Protesttag.

Berlin hat ein lange, fast legendäre Tradition an Auseinandersetzungen am 1. Mai. Von den 1980er Jahren an Fortfolgende lieferten sich Hausbesetzer und Autonome regelmäßig Straßenschlachten mit der Polizei. Beide Seiten zeigten sich damals ziemlich unerbittlich. Das änderte sich, weil sich einiger Furor der Linken in der Bürgerlichkeit verlor. Und weil die Polizei lernte, bei den Proteste deeskalierend zu agieren. In den vergangenen Jahren war dieser Tag der Arbeit fast nur noch Folklore, jedenfalls viel Happening und kaum mehr Randale.

Die Pandemie hat diese Gewissheiten auf den Kopf gestellt. Sie führte dazu, das eine Vielzahl von Protesten angemeldet wurde, 20 waren es insgesamt. Dazu treibt die Kritik an den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie eine neue und sehr disparate Gruppe von Menschen auf die Straßen. "Eine ganz, ganz schwierige Klientel", nennt sie ein Leiter der Bereitschaftspolizei. Die Beamten hätten erst lernen müssen, mit dieser Szene richtig umzugehen.

Gemessen an diesem Konfliktpotential war es ein fast friedlicher 1. Mai in Berlin. 10000 Menschen radelten mit Kind und Kegel aus Protest durch den Grunewald, Hunderte zogen mit Musik durch die Stadt, um auf das Sterben der Clubs aufmerksam zu machen; selbst die Kritiker der Corona-Beschränkungen blieben ruhig. Es wäre falsch, dies alles unter dem Rubrum Randale zusammenzufassen.

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