Süddeutsche Zeitung

TV-Kritik: Beckmann:"Jetzt bin ich erst mal dabei, die Auflage zu steigern"

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Geplärrte Anklage, geflüsterte Rechtfertigung: Thilo Sarrazin ist auf seiner Werbetour bei Beckmann gelandet. Ein komplett verhedderter Abend.

Alexander Kissler

Es war ein anstrengender Tag für Thilo Sarrazin. Die Vorstellung seines Buches Deutschland schafft sich ab geriet zur Berliner Großveranstaltung. Gegendemonstranten und Journalisten zählten nach Hunderten. Kaum war die Fragerunde beendet, erfuhr er vom Beschluss der SPD, ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn einzuleiten.

Am Abend gab dann sein Arbeitgeber, die Bundesbank, bekannt, Vorstand Sarrazin missachte "fortlaufend und in zunehmend schwerwiegendem Maße" seine Pflicht, "bei politischer Betätigung Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren". Seine Äußerungen könnten den "Betriebsfrieden erheblich beeinträchtigen, zumal zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen Migrationshintergrund haben". Und zum guten Schluss wartete ARD-Plauderer Reinhold Beckmann, frisch zurück aus der Sommerpause, mit gewohnt erwartbaren Fragen.

Er hat es nicht anders gewollt. Der Mann, der immer wirkt, als sei er frisch einer Schwarzweißkomödie der fünfziger Jahre entsprungen, setzte gleich schnarrend zum Altherrenwitz an, "is' ja kolossal, diese Sache, janz kolossal, famos" - dieser Mann mit der ergrauten Struwwelmähne, den zusammengekniffenen Augen, dem buschigen Schnauzer und der angerauten Stimme ist auf Werbetour. Gestern Abend machte Beckmann den Auftakt. Dieser gilt nicht als besonders origineller oder überlegter Interviewer, weshalb er sich das geballte Widerwort ins Studio lud: Aygül Özkan, Renate Künast, Olaf Scholz und Ranga Yogeshwar sollten Sarrazin heimleuchten.

Komplett gelesen dürfte das skandalisierte Buch kaum jemand haben. In aller Munde sind aber die deftigen Sarrazin'schen Wortschöpfungen von den "Araberjungen", den "Kopftuchmädchen" und den muslimischen "Importbräuten". Auch das "bestimmte Gen", das "alle Juden teilen", machte schnell die Runde. Der "Nettoreproduktionsrate" und der islamischen "Unterdrückungskultur" dürfte es nicht anders ergehen. Der trocken formulierende Bundesbanker ist kein mitreißender Redner, wohl aber ein Begriffsverdichter mit hohem Wiedererkennungswert.

Sind das nun perfekte oder eher hemmende Voraussetzungen für eine Talkshow-Debatte? Von Anfang an ließ Reinhold Beckmann keinen Zweifel, dass er ein Geständnis, eine Entschuldigung, ein Zurückrudern aus Sarrazin herauslocken wollte. Es misslang krachend.

Die ersten fünf Minuten verwandte Beckmann darauf, eine Antwort auf die mehrfach repetierte Frage zu bekommen, "Stehen Sie heute noch zu der Aussage von gestern?" Gemeint war der Interviewsatz vom jüdischen Gen. Sarrazin legte aber lediglich die Quelle zu seiner Behauptung frei. Im Berliner Tagesspiegel sei unter der Überschrift "Abrahams Gen" dargelegt worden, dass die "genetischen Gemeinsamkeiten" der Juden sich 3000 Jahre zurückverfolgen ließen. Das aber habe "mit meinem Buch gar nichts zu tun", die interviewenden Journalisten hätten ihn nur immer wieder auf die Genetik angesprochen.

Die Art und Weise, wie Moderator und Stargast sich gleich in die Wolle gerieten, bestimmte den Grundton der gesamten 75 Minuten. Beckmann gab den strengen und etwas pathetischen Sozialpädagogen, Sarrazin den peniblen akademischen Oberrat, dem man auch eine Erörterung über so sperrige Begriffe wie "Kaisertreue" oder "Bündnisfall" zugetraut hätte. Er präsentierte Zahlen, die er schon öfter vorgetragen hatte, ihm nun aber stockend von den Lippen kamen. Die Zwischenrufe setzten ihm zu.

Bezüglich der "relativen Verschiebung der Bevölkerungsanteile" zwischen bildungsferneren und bildungsnäheren Schichten verhalte es sich so, "dass die also, dass also die Nettoreproduktionsrate der Einwanderer im Durchschnitt bei eins liegt, während" - doch da warf Beckmann die Hände sehr schauspielerisch in die Luft und schrie fast "Wer soll das hier noch verstehen!". Dennoch arbeitete sich Sarrazin mit leiser Stimme am Satzbau ab: "... während die deutsche Bevölkerung durchschnittlich um, äh, pro Generation um ein Drittel abnimmt. Das waren die Zahlen." Und griff erleichtert zum Wasserglas.

Wer sich sehr konzentrierte, konnte im Tohuwabohu von geplärrter Anklage und geflüsterter Rechtfertigung die bekannten Thesen heraushören: dass Begabungen "teilweise erblich" seien, nämlich zu 50 bis 80 Prozent, dass eine "bevölkerungsdynamische Argumentation" die Fakten zur Kenntnis nehmen müsse, dass er, Sarrazin, im beworbenen Buch "wissenschaftlich solide" und "sehr konstruktiv" vorgehe, dass es mit dem Mikrozensus möglich sei, "Migrantengruppen zu sortieren" und hierbei "nur bei denen aus muslimischen Ländern" noch in der zweiten und dritten Generation die Integration auf sich warten lasse, "das macht besorgt". Grund hierfür könne der mit 93 Prozent sehr hohe Anteil etwa der innertürkischen Partnerwahl sein. Grund könne also der sich selbst abschottende Islam sein.

Diese durchaus spannende Debatte wurde aber dann nicht geführt. Die niedersächsische Sozial- und Integrationsministerin von der CDU fand es "unnütz", die Nachkommenschaft nach Religionen aufzuteilen, man solle sich über Kinder freuen. Außerdem kritisierte sie Sarrazins "verächtliche Art", mit der er über Migranten spreche und deren Leistungen ausblende. Wer die Bildungschancen wirklich erhöhen wolle, der müsse in einer Art "nachholender Integration" dafür werben, dass die Kinder von Migranten "mit drei Jahren oder sogar früher in die Kita kommen". Das tat Aygül Özkan dann auch. Ansonsten sagte sie nicht viel.

Ein Bildungsunfall und "Zahlenhuberei"

Auch Renate Künast war für ihre Verhältnisse geradezu tiefenentspannt. "Abwertend und gefühlskalt" kamen ihr Sarrazins Einlassungen vor, es sei "schade um die schöne Zeit", die man sich mit einem solch krausen Werk beschäftige. Weil sie aber nun mal ins Studio gekommen war, wollte sie darauf hinweisen, dass die einstigen "Gastarbeiter" bewusst niedrigqualifizierte Kräfte gewesen seien. Deshalb und nicht aus religiösen Gründen waren es eher bildungsferne Schichten, die kamen.

Der Hamburger SPD-Chef Olaf Scholz sah das gewiss ähnlich, war aber nicht in Redelaune. Nur ganz am Ende bemerkte man seine Anwesenheit, als er den Grund für das Parteiordnungsverfahren offenlegte: Sarrazin sehe die Abstammung als Problem, nicht als Aufgabe. Dadurch verstoße er gegen das Grundprinzip der Sozialdemokratie, die immer für eine herkunftsunabhängige Teilhabe gekämpft habe. Sarrazins Konter war knapp: "Es wird nicht zu einem Rauswurf kommen."

Was den Menschen Sarrazin antreibt, erfuhr auch der Fernsehjournalist Ranga Yogeshwar nicht. So diagnostizierte er, recht unscharf, das Woyzeck-Syndrom. Sarrazin jage einer Chimäre namens Heimat nach, dem großen und ewig bergenden Gefühl, wie weiland Büchners Woyzeck, der immer "I geh' heim" gesagt habe - was dieser aber gar nicht tat. Das Gegenteil sprach er mehrfach aus, "ich muss fort" war Woyzecks Motto. Nach diesem Bildungsunfall im Hause Yogeshwar lächelte Sarrazin. So verhedderte sich der Abend in der selbstgelegten Falle.

Beckmann rief übermotiviert "Herr Sarrazin, zuhören", "Sie sind gleich wieder dran, Herr Sarrazin", "bleiben wir bei dem Thema", ohne dass der Schlagabtausch eine Richtung bekommen hätte. Der Provokateur aus Leidenschaft wiederum erklärte, er sei "kein Zahlenfreak", er wolle "keine Zahlenhuberei" betreiben - und legte die nächste Statistik auf den Debattentisch.

Kurz vor Schluss hatte das Gerede doch seinen Augenblick der Erkenntnis: "Jetzt bin ich erst mal dabei, die Auflage zu steigern", sprach es aus Thilo Sarrazin. Die Mission hat er erfüllt. Die PR-Karawane zieht weiter. Morgen macht sie Station bei Plasberg.

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