Süddeutsche Zeitung

TV-Duell in Hessen:Aggressiver Landesvater gegen trotzigen Aufsteiger

Lesezeit: 4 min

Bouffier attackiert, Schäfer-Gümbel weicht aus: Beim hessischen TV-Duell verschwinden die Inhalte des Wahlkampfs hinter der tiefen Abneigung der Kandidaten füreinander. Das ist vor allem für den Herausforderer fatal.

Von Jens Schneider

Es ist ein altes Spiel, aber selten wird es so gnadenlos exekutiert wie an diesem Abend beim hessischen TV-Duell, gut eine Woche vor der Landtagswahl: Ein Journalist fragt, Politiker antworten nicht. Gar nicht. Sie ignorieren, was der Fragende von ihnen wissen will. Und reden einfach, was sie wollen.

Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier eröffnet im Hessischen Rundfunk die erste Spielrunde, im Laufe des Abends wird er sich als absoluter Profi in dieser Disziplin erweisen. Der Christdemokrat und frühere Innenminister regiert seit drei Jahren das Land. Als Spitzenkandidat ist er noch nie angetreten, er hat das Amt von seinem Parteifreund Roland Koch übernommen. Dennoch hatte Bouffier in diesen drei Jahren genug Zeit, einen Amtsbonus zu erwerben. Er legte seine frühere Rolle des innenpolitischen Hardliners ab und zeigt inzwischen gern einen fast großväterlichen Gestus.

Bouffier versucht, Schäfer-Gümbel in die Ecke zu treiben

Nur genutzt hat ihm das bisher wenig, laut Umfragen hat er im Direktvergleich keinen signifikanten Vorsprung vor Thorsten Schäfer-Gümbel, dem Herausforderer von der SPD. Woran das liegt, will der Moderator wissen. Bouffier gibt auf diese Frage keine Antwort, er tut nicht mal so, als würde er es versuchen. Wo andere zumindest einen ausweichenden Halbsatz anbieten, geht Bouffier über alles hinweg. Und lieber gleich selbst zur Attacke über. Er versucht, seinen Herausforderer Schäfer-Gümbel in die Ecke zu treiben. Und leitet so Spielrunde zwei ein.

Da kann Thorsten Schäfer-Gümbel zeigen, wie mäßig er seinerseits verschleiern kann, wie er nun ausweicht und eiert. Das ist nicht so sein Feld, was schade für die SPD sein könnte in diesen Tagen. Denn es geht um das zentrale Thema kurz vor der Wahl: die Frage, ob Schäfer-Gümbel sich auch von der Linken zum Ministerpräsidenten wählen lassen würde. Genau vor einer Woche überraschte der 43-Jährige dazu mit einer eigenartig widersprüchlichen Formulierung, und da knüpft er nun an: Formal, so sagt er, schließe er nichts aus, aber er wolle Rot-Rot-Grün trotzdem nicht. In der vergangenen Woche hat er sogar gesagt, dass er ein Bündnis mit der Linken ausschließe. In der Spitzenrunde drängt Bouffier ihn nun. Schäfer-Gümbel solle einfach sein Ehrenwort geben und eine klare Absage an die Linke erteilen. Das sei doch ganz leicht.

Das stimmt, aber Schäfer-Gümbel will nicht. Er bleibt beim Jein. Den Schwur legt der Sozialdemokrat nicht ab. Statt dessen bittet er, abzuwarten, was nach der Wahl in den Parteien passieren wird.

Die Situation ist absurd: Vier Jahre lang hat Schäfer-Gümbel sich das Thema vom Hals halten können, das die SPD unter seiner Vorgängerin Andrea Ypsilanti ins Fiasko gestürzt hatte. Sie hatte erst ein Bündnis mit der Linkspartei ausgeschlossen, wollte sich dann aber von der Linken zur Regierungschefin wählen lassen. Ypsilanti scheiterte spektakulär am Widerstand von Abweichlern aus den eigenen Reihen, die anschließende Neuwahl verlor schon Schäfer-Gümbel, mit einem verheerenden Resultat, für das er wenig konnte. Die Partei habe ihre Lektion gelernt, sagt er nun. Doch was er nach der Wahl vorhat, falls Rot-Grün keine eigene Mehrheit findet, das lässt er offen. Neuerdings sagt er: nicht mit der Linken. Aber heißt das, wie viele vermuten, nur: erst mal nicht?

In diesem Duell wiederholt Schäfer-Gümbel auch noch eine Aussage, die sonst wenig Beachtung findet. Er gibt sich nämlich insgesamt wählerisch: Auch mit der CDU kann er sich keine Regierung vorstellen. Er erteilt also einer Großen Koalition eine Absage, in der die SPD allen Umfragen zufolge der Junior-Partner sein müsste. Aber man wisse ja nicht, so geht er Bouffier an, ob der in drei Monaten noch Vorsitzender der hessischen CDU sein wird. Das ist ein wichtiger Satz, auch für das Verständnis dieses Duells: Die beiden Spitzenkandidaten können nicht miteinander, gar nicht. Eine Koalition dieser zwei ist schwer vorstellbar. Obwohl sie beide aus Gießen kommen, fehlt ihnen der Draht, den ein Ministerpräsident und ein Oppositionsführer im Normalfall zueinander haben.

Bouffier, der deutlich Ältere, lässt den Jüngeren, der anders als er aus einfachen Verhältnissen kommt, gern als einen Emporkömmling erscheinen. Schäfer-Gümbel findet das unverschämt, er vermisst Respekt. Aber Bouffiers Herablassung irritiert ihn auch. Er stemmt sich dagegen, will zeigen, dass er sich sowas nicht bieten lässt. Dieses Verhältnis führen die beiden nun durch die ganze Sendung vor, durch alle Themen. Und der Moderator, HR-Chefredakteur Alois Theisen, schaut und hört nur zu. Souverän lässt das keinen der drei aussehen.

Ob es nun um den Kampf gegen die Steuerflucht geht, oder die Frage der Schulformen - also G 8 oder G 9, oder beides gleichzeitig: Bouffier holt mit dem ihm eigenen Gutsherren-Gestus lange aus, ist oft belehrend, und sucht bei wirklich jedem Thema die Chance zur Attacke. Das passt sehr wenig zum Image des gütigen Landesvaters, der zuhörend für alle da sein will. Indem er ständig angreift, karikiert der Christdemokrat dieses Selbstbild geradezu.

Er versucht, Schäfer-Gümbel in die Enge zu treiben, dringt immer wieder in ihn. Der Moderator macht einen ratlosen Eindruck, versucht ab und zu einzugreifen, aber zu zaghaft. Wenn so etwas häufiger passieren würde, müssten die Öffentlich-Rechtlichen auch über garantierte Redezeiten für ihre Mitarbeiter in solchen Duellen nachdenken, wie sie die Politiker reklamieren.

Hier aber muss Schäfer-Gümbel in einem trotzigen Ton dem Älteren immer wieder erklären, dass er jetzt dran sei. "Jetzt rede ich", mit halber Kraft ausgesprochen, aber kräftig gemeint, das ist wohl sein häufigster Satz. "Jetzt rede ich", das klingt manchmal geradezu zickig. Wie schön wäre es gewesen, hätte er sich mit ein wenig Verve und Sprachwitz in eine richtige Redeschlacht geworfen.

Schäfer-Gümbel wirkt am Ende gütig, gewinnend

So aber kommt es kurz vor dem Ende so weit, dass der Ministerpräsident die Show ganz alleine spielt. Er redet, redet, redet und wird vom Moderator gewarnt, dass Schäfer-Gümbel die letzten zehn Minuten für sich haben würde, wenn es so weiter gehe. "Sie sprengen unser Abendprogramm!" Bouffier aber macht weiter. Ob er noch bedenkt, wie dieser Alleingang - das Duell eines Ministerpräsidenten gegen seine Monologe - wirkt? Sieht nicht danach aus. Einmal sagt er: "Ich würde gerne Ihnen zuhören, aber das ist sowas von absurd." Das klingt weder fair noch gütig oder gut.

Und dann passiert es. Die ermüdende Sendung bekommt einen richtigen Höhepunkt. "Ich muss einfach mal zu ihnen kommen", kündigt Moderator Theisen an, läuft durchs Studio und steht vor Bouffiers Rednerpult, klopft einmal darauf, um ein Stopp-Zeichen zu setzen. Zum Ende darf Schäfer-Gümbel richtig lange am Stück reden. Es kommt ein klassischer Sozialdemokrat zum Vorschein, der für Gerechtigkeit streiten will. Für einen Moment blüht er auf, und wirkt auf eine weiche Art gewinnend. Gütig, gewinnend - So wollte doch eigentlich auch Bouffier sein! Doch der hat seine Redezeit ja schon mit Attacken verbraucht.

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