Süddeutsche Zeitung

"Tatort"-Kolumne:So überzeichnet, dass es quietscht

Lesezeit: 2 min

Von Holger Gertz

Dieser Tatort aus der Schweiz ist keine fünf Minuten alt, da kann man ihn schon wieder abschalten. Es fängt an mit einer Boxszene, zwei junge Frauen hämmern aufeinander ein, und trotz Zeitlupe und dräuender Musik hat handelsübliches Fernsehboxen mit echtem Boxen mal wieder so gar nichts zu tun. Das weiß man seit so legendären Reißern wie Macho Man mit dem Goldhöschen René Weller, spätestens aber seit Max Schmeling - eine deutsche Legende: Der Boxer Henry Maske spielte Max Schmeling, sah allerdings so aus wie der Boxer Henry Maske, dem jemand Max-Schmeling-Augenbrauen aufgeklebt hatte.

In diesem Tatort nimmt keine die Deckung hoch, und schließlich tritt ein Box-Manager in die Kabine derjenigen, die soeben die andere totgeschlagen hat. Er malt sich aus, was man aufs nächste Plakat drucken könnte: "Tina - the Killer!"

Ein Countdown im Tatort wirkt wie Maggi in einer Studenten-WG-Küche

Jaja, sind alle so furchtbar abgefuckt in dem Business, aber "Ausgezählt" (Buch: Urs Bühler; Regie: Katalin Gödrös) überzeichnet derart, dass es quietscht. Ein Film, der sich schon am Anfang so unseriös auseinandersetzt mit dem Milieu, das er beschreibt, ist nicht mehr zu retten. Der Rest des Krimis entwickelt sich zum gern genommenen "Wettlauf gegen die Zeit", denn der Manager hat Tina in einen Keller gesperrt, weil sie auspacken wollte über die Doperei beim Boxen. Dann ist der Manager aber leider erschossen worden, und jetzt weiß niemand, wo der verdammte Keller mit Tina eigentlich ist. Praktischerweise steht ein Laptop bereit mit Livebildern aus dem Verlies. Wie lange sie dort überleben kann, ohne was zu trinken? 72 Stunden, sagt eine Fachkraft im Kommissariat, und Inspektor Flückiger (Stefan Gubser) rechnet es souverän in die größere Einheit um: "Wie sollen wir sie in drei Tagen finden?"

Fortan haben die Polizisten den Bildschirm mit Tina immer im Blick, ein Zeitzähler tickt praktischerweise runter. Aber weil noch ein Nebenstrang mit Kommissarin Ritschard (Delia Mayer) abzuarbeiten ist und die Dopingnummer auch irgendwie weitererzählt werden muss, betrachten alle den Bildschirm mit der verdurstenden Tina ungefähr mit jener emotionalen Beteiligung, mit der Ornithologen im Internet die Bruterfolge von Störchen via Storchencam nachvollziehen.

So ein Countdown im Tatort wirkt normalerweise wie Maggi in der Studenten-WG-Küche: Damit kriegt man in die labberigste Pampe garantiert noch etwas Musik rein. Wie es die Schweizer allerdings schaffen, dass auch dieses Stück wieder in gewohnter Langeweile strandet, ist eine Kunst für sich. Aber jetzt ist ja dann gottlob Sommerpause.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2019
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