Süddeutsche Zeitung

Tatort-Nachlese:Habt Euch wieder lieb!

Lesezeit: 4 min

Die Wiener "Tatort"-Kommissare stoßen in "Wehrlos" auf Abgründe in den eigenen Reihen. Erbitterten Streit können sie sich da nicht erlauben.

Kolumne von Paul Katzenberger

Erkenntnis:

Bei der Polizei, also dort, wo auf den ersten Blick der Rechtsstaat dem Wortlaut der Paragrafen nach eingehalten wird, gelten Gesetz und Ordnung viel weniger als in der Halbwelt mit ihren Zuhältern, Einbrechern und Hehlern.

Eigentlich dreht sich der Fall jedoch um ...

... das tragische Ende eines Ehepaars: Der Chef der Polizeischule SIAK in Wien, Peter Kralicek, und seine Ehefrau liegen tot in ihrem Haus. Sie starb im ersten Stock an einem Genickbruch durch Gewalteinwirkung, er liegt mit einer Kugel in der Brust im Wohnzimmer auf dem Rücken. Alles deutet darauf hin, dass Kralicek sich selbst gerichtet und ein Ehedrama ein schlimmes Ende gefunden hat.

Und dann geht's doch ...

... um eine dritte Person, die den SIAK-Chef ermordet haben muss. Die Suizid-Annahme erweist sich nach der Obduktion von Kraliceks Leichnam und ballistischen Untersuchungen als nicht mehr haltbar.

Eine Spur führt zum SIAK-Ausbilder Thomas Nowak, der ein strenges Regiment führt, gleichzeitig aber ein besonderes Verhältnis zu einer Polizeianwärterin zu pflegen scheint. Kommissarin Bibi Fellner wird als kommissarische Leiterin in die Schule eingeschleust. Das kommt den Ermittlern entgegen, denn in der Mordkommission streiten sich Fellner und ihr Kollege Moritz Eisner ständig. Sie scheint irgendetwas dagegen zu haben, dass er eine neue Freundin hat. Bei der verdeckten Aktion in der SIAK kommt ihr Nowak immer verdächtiger vor. Unterdessen verfolgt Eisner Spuren ins Rotlichtmilieu. Langsam fügen sich die Erkenntnisse der beiden zu einem Bild zusammen, das aus Klein- und Großkriminellen besteht. Ausgerechnet Letztere sind hochrangige Polizeibeamte, die das Abhängigkeitsverhältnis innerhalb des Apparats schändlich ausgenutzt haben.

Bester Dialog:

Moritz Eisner besucht am helllichten Tage das Etablissement "Romanticka". Die Auswertung des Handys der ermordeten Frau Kralicek hat ergeben, dass sie sich im "Romanticka" mit Erpressern getroffen hat. Eisner verhört daher den Wirt, bekannt unter dem Namen "Inkasso-Heinzi":

Eisner: "I will wissen, wen die Kralicek hier getroffen hat?"

Inkasso-Heinzi: "Des kann i Dir net sag'n."

Eisner versetzt Inkasso-Heinzi einen Schlag mit der Zeitung.

Inkasso-Heinzi: "Des kann i Dir sag'n. Zwei so Knallchargen. A Wappler (österreichisch für unfähigen Menschen, Anm. d. Red. ) und a depperte Funzen (dumme Frau ). Spiel'n auf Gangster. Die ganze Branch' macht sich eh scho lustig über die - hom schon ois versucht, von der Dessous-Party bis zum Call-Center - nix hat funktioniert. Sie is a scho auf'n Strich gangen, er war ihr Zuhälter. Aber die wollt' keiner pudern (Geschlechtsverkehr haben ) - und ihm ham's immer eine auf die Nasn' gebn. Und jetzt versuch'n sie's mit Erpressung - an Polizisten!"

Eisner: "Wie heißen die Clowns?"

Inkasso-Heinzi: "In der Branch die depperte Bonny und der süße Clyde, aber die echten Namen? I waß ja net amal wie i heiß, mi nennen auch nur alle den Inkasso-Heinzi."

Top:

Bibi Fellner demonstriert, dass Offenheit beim Umgang mit eigenen Schwächen wohl die beste Strategie ist. Kurz nach ihrer Berufung zur neuen Schulleiterin der SIAK trifft sie einige Polizeischüler im Schulhof, die gerade Dosenbier trinken. Die Jugendlichen fragen mit brutaler Direktheit: "Stimmt es, dass sie einmal Alkoholikerin waren?" Kurzes betretenes Schweigen, dann antwortet Fellner: "Ja, ist aber schon lang her", um dann gleich zum Angriff überzugehen: "Ihr seid's ja sehr gut informiert. Und, sonst noch irgendwelche Fragen oder Unklarheiten? Ka Problem!" Ein Polizeischüler will wissen: "Sie waren bei der Sitte?" Fellner: "Ja, und falls einer von Euch vorhat, da hinzugehen, warne ich Euch gleich vor: Da wird man schnell zum Alkoholiker."

Flop:

Im Finale von "Wehrlos" stellt sich heraus, dass der Polizeischüler Tobias Pohl die sexuellen Übergriffe seiner Ausbilder Peter Kralicek und Thomas Nowak seelisch nicht mehr verkraftet hat, und der Autounfall, der ihn das Leben gekostet hat, tatsächlich Selbstmord war. Deswegen musste Kralicek durch die Kugel von Pohls Vater sterben. So weit, so ungut. Aber musste das Drehbuch auch Stefan Pohl zum Polizisten machen? Kriminelle Sex-Monster in der Polizeiakademie und ein Beamter als wandelndes Pulverfass, dessen Explosion diesen Tatort-Fall auslöst - das ist dann doch zu viel der Verderbnis in Wiener Polizeikreisen, als dass sie noch glaubwürdig wäre.

Bester Auftritt:

Die Welt dreht sich immer schneller. Wo man geht und steht - die Konkurrenz schläft nicht, zumindest tut sie permanent so. Welcher Zuschauer wird da nicht manchmal vom Gefühl der Hilflosigkeit ergriffen? Und tut es da nicht besonders gut, zur Abwechslung mal jemanden präsentiert zu bekommen, der ein noch viel schlimmerer Loser ist als man selbst? So einen wie Eisners Hilfsermittler Manfred Schimpf Fredo? Wo der Mann hingreift, er macht immer nur alles schlimmer. Ob er nun bei Bibi Fellner um Nachtquartier bittet, weil ihn seine Frau zuhause rausgeschmissen hat, was Fellner in den Verdacht bringt, gegen den Paragrafen 212 des österreichischen Strafgesetzbuches verstoßen zu haben (Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses). Oder wenn er nachts ein verdächtiges Objekt überwachen soll, dabei einpennt, und alle Delinquenten entkommen lässt. "Auf einen Sitz alles verbockt", fasst der Vorgesetzte Eisner die Leistung des Zuarbeiters zusammen. "Er hat alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann... . Da hinten liegt a Toter, weil er verpennt hat. Verdammt noch mal!" Es gibt noch viel mehr Dummheit auf dieser Welt, als man je für möglich gehalten hätte. Ein Glück.

Die Schlusspointe:

Leichen im Keller liegen haben. Auf die Polizei-Akademie dieser Tatort-Folge trifft das nicht nur im übertragenen Sinne zu. Was tragisch ist. Aber die Erschütterung darüber bringt Eisner und Fellner nach ihren Streitereien einander wieder näher. Was Hoffnung spendet.

Die besten Zuschauerkommentare:

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3470470
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.