Süddeutsche Zeitung

"Tatort" mit Batic und Leitmayr:Misstraut München!

Lesezeit: 1 min

Von Claudia Tieschky

In diesem Münchner Tatort hält das Verbrechen respektvoll Abstand zum Alltag. Es steht lieber in direkter Beziehung zu fernen Ländern und Nachrichtendiensten, einige Menschen sind nicht die, die sie vorgeben zu sein, sondern haben eine dunkle Vergangenheit. Afrikanisches Gift spielt eine Rolle, rätselhafte letzte Worte, die auf ein mittelalterliches Herrschaftsgebiet in Süditalien hindeuten, aber etwas Anderes meinen. Das hat etwas von der Art Spannung, wie sie früher inszeniert wurde, als der Fernsehkrimi noch etwas Besonderes war, weil er möglichst viele exotische Motive aufbieten konnte. Obwohl das Thema der Episode zeitgemäß aussieht, ist sie eigentlich vollkommen retro. Das hat seinen eigenen Reiz.

Die Folge trägt den Titel "One Way Ticket" (Buch und Regie Rupert Henning), kommt aber trotzdem nicht aus Hollywood.

Absolution erteilt hier keiner, auch nicht der empathische Batic

Es geht um ein deutsches Entwicklungshilfe-Projekt, dessen Leiter ermordet wurde, und in dem nicht alle so selbstlos handeln, wie sie tun. Nette ältere Münchner wie die Drechsel Uschi lassen sich dort aus Geldnot auf haarsträubende Dinge ein, verlieren im Verhörraum die Nerven oder landen gleich "in Afrikas dreckigstem Knast". Leitmayr (Udo Wachtveitl) trägt den weißen T-Shirt-Rand unter dem dunklen Hemd zuweilen so, dass er auch als Beichtvater durchgehen würde, aber Absolution erteilt hier keiner. Auch nicht Batic (Miroslav Nemec), der ja sonst zur Empathie neigt. Fein ist die kleine Rolle von Monika Lennartz als Ex-Agentin mit strengem Kostüm. Man erkennt dahinter Lotte Lenya im Bond-Film samt Giftdorn im Schuh.

Endlich gibt es einmal wieder im Tatort eine Innenausstattung zum Bewundern; das kleine Münchner Gartenstadt-Häuschen mit ererbten Möbeln und moderner Kunst - und den Krimiklassiker: moderne Villen mit offener Glasfront zum Garten. In einer davon sitzt Hark Bohm als gebrechliches Scheusal und nuckelt am Sauerstoff. In gewisser Weise ist es der Old-School-Klassiker aus der D errick-Zeit: das schöne Schaudern darüber, was sich hinter den Fassaden der sogenannten besseren Häuser alles verbirgt. Misstraut München!

Das alles ist so selbstverständlich gemacht, dass man sich angenehm überraschen lassen kann, was als nächstes kommt. Spannend, nicht weiter beunruhigend. Ein schön gemütlicher Tatort.

Das Erste, 26. Dezember, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 24.12.2019
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