Süddeutsche Zeitung

Tatort-Kolumne:Großes Bahnhofskino

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In diesem Kölner "Tatort" geht es um zerschossene Lebensentwürfe: Eine Familie tauscht das Bauunternehmen in eine Fahrschule, um an Lösegeld für den entführten Schwiegersohn zu kommen. Das Opfer kommt frei, doch die seelischen Wunden bleiben.

Holger Gertz

Die großen Kölner Schenk und Ballauf diskutieren oft langatmig die Vor- und Nachteile ihrer jeweiligen Lebensentwürfe: Familientier oder einsamer Wolf? In diesem Fall sucht Kommissar Ballauf eine Antwort, indem er die Polizeipsychologin anbalzt. Er tut das nach Art eines Frauenverstehers, der schon ein wenig in den Gelenken knarzt. Der Rest dieses Tatorts (Regie: Kaspar Heidelbach) widmet sich sehr gradlinig der Frage, was passiert, wenn Lebensentwürfe zerschossen werden. Zwei Fälle von Menschenraub sind aufzuklären, sie sind verbunden durch etwas, das vielen Krimis fehlt - einen Gedanken hinter der Story, eine leading idea: Befreit werden, das ist nur eine Illusion.

Die Familie Thom hatte ein Baugeschäft, dann wurde der Schwiegersohn entführt, die Thoms mussten alles verkaufen, um das Lösegeld zusammenkratzen zu können, die Entführer wollten eine Dreiviertelmillion. Die Polizei blieb damals außen vor. Nun haben sie nur noch eine Fahrschule, in der der Führerschein zum Dumpingpreis angeboten wird. Diese Fahrschule ist ein Ort, so verloren wie das Bahnhofskino, über das die großen Kölner von BAP die Hymne einer Zeit geschrieben haben: Weed et niemieh hell em Parkett? Das seelisch verwundete ehemalige Entführungsopfer (Oliver Bröcker) wird weder von seinem Fusselbart gewärmt noch von der dicken Wolljacke. Seine Frau wird gespielt von der warmäugigen Katharina Wackernagel, die die hohe Kunst beherrscht, schreien zu können, dass es sich wie Flüstern anhört. Oder flüstern wie schreien: "Meinen Mann gibt es nicht mehr, das ist doch nur noch der Rest von ihm."

Ja, die Welt kennt Orte, an denen wird es nie mehr hell im Parkett. Am Ende fordert Kommissar Schenk an der Imbissbude eine "schnelle Wurst" - vielleicht ein versteckter Hinweis darauf, dass der Fall auf freier Strecke etwas mehr Tempo hätte vertragen können. Abgesehen davon: großes Bahnhofskino.

ARD, Sonntag, 20.15 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 07.01.2012
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