Süddeutsche Zeitung

Tatort aus Köln:Ganz unten

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Die Kölner Kommissare ermitteln unter Obdachlosen, im Zentrum stehen drei Frauen. Der Fall ist ein Sozialdrama im besten Sinn und sehr aufwühlend.

Von Claudia Fromme

Der Weg in den sozialen Abstieg hat viele Gesichter, und keiner will sie ansehen. Zu groß ist die Angst der Saturierten, selbst auf der Straße zu landen. Die Ungesehenen sind die Frauen. Katja wurde die Wohnung gekündigt, ihr Schufa-Eintrag verhindert eine neue, jetzt schläft die Altenpflegerin nachts im Auto. Moni gerät in eine psychische Krise, nun liegt das Hab und Gut der ehemaligen Bankangestellten in einem Schließfach der Obdachlosenhilfe. Ella wird seit Jahren von ihrem Ehemann verprügelt, als er wieder brutal zuschlägt, zieht sie ihm einen Pokal über den Kopf und flieht in den Schatten der Gosse.

"Wie alle anderen auch" heißt der Kölner Tatort, in dem diese drei Frauen nur eins wollen: Normalität. Sie waschen sich, wo sie können, an jedem Rinnsal, um sich einen Rest Würde zu bewahren, um zu vertuschen, wie sie leben. Sie suchen Schutz bei flüchtigen Bekannten, in Notunterkünften - und werden wieder ausgenutzt, bedrängt, vergewaltigt. Sie betteln um Hilfe bei anderen Obdachlosen, aber bekommen selten welche. In harten Zeiten ist jeder Mensch dem Menschen ein Wolf.

Im Zentrum der Geschichte nach dem Buch von Jürgen Werner steht Ella (Ricarda Seifried), der Neuling auf der Straße. Moni (Rike Eckermann) kümmert sich um sie, bis ihr Lager unter einer Brücke in Flammen aufgeht und die Mordkommission auftaucht. War es eine andere Obdachlose? Wusste Moni zu viel und musste darum sterben? Sie hat Ella kurz vor ihrem Tod einen verschlossenen Briefumschlag übergeben. Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) versuchen, den Fall zu lösen und cool zu bleiben. "Wir denken nicht, wir ermitteln", behaupten sie. Am Wurststand blicken sie dann fassungslos alten Flaschensammlern nach.

Ist das spannend? Nicht immer. Aber aufwühlend. Es ist ein Sozialdrama im besten Sinn, die Kölner können das, schon immer. In diesem Tatort unter der Regie von Nina Wolfrum gibt es kein Erklärfernsehen. Hier wird nicht, in der Annahme eines hirntoten Publikums, jede Deutung ausbuchstabiert. Es reichen als Sozialkritik die leeren Gesichter der Frauen, die Kamerafahrten durch die Schäbigkeit der Großstadt, die Gewissheit, dass die Hölle bleibt. Am Ende fasst es eine so zusammen: "Ohne Wohnung hast du keine Chance, egal, wie viel du kämpfst und machst und tust, um wieder auf die Beine zu kommen. Am Ende gewinnt immer die Straße."

Wen dieser Tatort nicht packt, der hat kein Herz.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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