Süddeutsche Zeitung

Pressestimmen zur Afghanistan- Krise:Auf ein Wort

Lesezeit: 7 min

Journalistinnen testen in Afghanistan die Pressefreiheit unter den Taliban. Medien weltweit kritisieren den Westen.

Von SZ-Autoren

Die Welt blickt auf Kabul - und auch viele Afghanen wundern sich über die widersprüchlichen Momente, die in ihrer Hauptstadt in diesen Tagen geschehen. Während sich einerseits noch unbestätigte Berichte häufen, nach denen einige Journalisten und Übersetzer von den neuen Herren der Stadt gezielt verhaftet wurden, bemühen sich die Taliban zu zeigen, wie sehr sie sich gewandelt haben.

Ein Interview wie dieses, das am Dienstagmorgen im Programm des größten Privatsenders ToloNews zu sehen war, hätte es während der ersten Herrschaft der Islamisten tatsächlich nie gegeben: Abdul Haq Hammad, der oberste Sprecher der Taliban, stellte sich den Fragen der Journalistin Beheshta Arghand. "Ich wundere mich noch immer, dass die Menschen Angst vor den Taliban haben", sagte der Sprecher, der im Studio gebührenden Abstand zu seiner Interviewerin hielt. ToloNews schickte zudem die Journalistin Hasiba Atakpal zu Außenreportagen - vor der Kamera trug sie das Kopftuch deutlich lockerer über die Haare gelegt als eine ebenfalls aus Kabul berichtende US-Kollegin, wie ein afghanischer Journalist auf Twitter bemerkte.

Einige Radiostationen setzten derweil verstärkt auf Wortbeiträge statt Musik, zu hören waren meist männliche Moderatoren. Fernsehsender, die bis vor Kurzem noch stark auf Musikvideos gesetzt hatten, spielten nun Serien. Während die Medienmacher Afghanistans - auch einige private Zeitungen erschienen am Dienstag erstmals unter der Herrschaft der Islamisten - also vorsichtig austesten, wo künftig die roten Linien liegen, ging die Weltpresse hart mit dem Vorgehen des Westens und speziell der Rede des US-Präsidenten Joe Biden in Gericht. Eine Auswahl. Moritz Baumstieger

Großbritannien

Die Titelseiten der britischen Yellow Press können brutal sein. So wie die der Sun am Dienstag. Das Aufmacher-Foto zeigt US-Präsident Joe Biden, "gedemütigt und allein" im sogenannten war room, darunter die Schlagzeile: "JOKE BIDEN". Die Daily Mail verwendet ein paar mehr Worte, um im Grunde dasselbe auszudrücken: "Der Krieg gegen den Terror ist so zu Ende gegangen, wie er am 11. September begonnen hatte: Leichen fallen vom Himmel und Amerika wird gedemütigt."

Die scharfe Kritik an den Vereinigten Staaten findet sich nicht nur in den Tabloids. So heißt es etwa im Leitartikel der konservativen Times: "Die Machtübernahme der Taliban nach dem Truppenabzug des US-Präsidenten aus Afghanistan beschädigt das internationale Vertrauen in die amerikanische Führung." Die Kritik des linksliberalen Guardian fällt ebenso deutlich aus: Der "rücksichtlose Rückzug" aus Afghanistan habe Bidens Bestreben untergraben, Amerikas Ansehen als globale humanitäre Kraft nach der Trump-Präsidentschaft wiederherzustellen.

Die Financial Times richtet den Blick nach vorne: Die "moralische Verantwortung" des Westens liege nun darin, Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen. Doch dies könne angesichts anstehender Wahlen in Deutschland und Frankreich "politisch giftig werden". Alexander Mühlauer

China

An einen Zufall glaubten am Montag nicht viele, als der chinesische Staatssender CCTV 6 sein Programm veröffentlichte. Am Nachmittag sollte der amerikanische Film "A dog's way home" laufen. Der Sender war schon früher durch mutmaßliche politische Kommentierung mithilfe seines Programms aufgefallen. Schnell sammelte die staatliche Beijing Daily einige höhnische Netz-Kommentare zur Programmauswahl und startete einen Hashtag zum Filmtitel, der mehr als 500 Millionen Mal geklickt wurde. "Zu fies" sei die Anspielung durch CCTV 6, kommentierte die Beijing Daily hämisch.

Bereits im Juli hatte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums die USA als "weltgrößten Verursacher von Chaos" bezeichnet, der stets anderen die Schuld zuschöbe. Die meisten Zeitungen griffen diese Kritik am Montag auf, deuteten die chaotischen Szenen als Beleg für ein Ende der amerikanischen Dominanz. Die Volkszeitung, ein offizielles Parteiorgan, zitierte am Montag ausführlich Außenminister Wang Yi, der dem Amtskollegen Antony Blinken einen "überhasteten Abzug" vorwarf.

Die einflussreiche Global Times, die immer wieder mit ihren nationalistischen, teils haarsträubenden Kommentaren für Aufsehen sorgt, stellte in einem anonymen Meinungsbeitrag eine Verbindung zwischen Afghanistan und Taiwan her: Wenn Krieg ausbricht, werde die Verteidigung der Insel innerhalb von Stunden zusammenbrechen und das US-Militär nicht zu Hilfe kommen. Das Chaos in Afghanistan sollte Taipeh eine Lehre sein. Der einzige Unterschied? Nur die Hoffnungslosigkeit sei im Fall Taiwans noch größer. Lea Sahay

Pakistan/Indien

In der pakistanischen Tageszeitung The Dawn wurde der Abzug der US-Truppen als "panische Evakuation" bezeichnet, die dem Image der USA großen Schaden zufügen werde, ausgerechnet in dem Moment, in dem Joe Biden der Welt signalisieren wollte: Amerika ist zurück! Vor allem die Abgrenzung zu seinem Vorgänger Donald Trump, der die Ereignisse erst unvermeidbar ins Laufen gebracht hatte, schien The Dawn bemerkenswert am Auftritt Bidens. Trump habe die Taliban in die stärkste Position seit 2001 gebracht, sagte Biden laut The Dawn, außerdem hätten die beiden wichtigsten afghanischen Führer, Premierminister Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah, der Kopf des Rats zur nationalen Versöhnung, seinen Rat "rundheraus abgelehnt", eine politische Einigung mit den Taliban zu erzielen.

Die Tribune aus Islamabad geht noch etwas härter mit Joe Biden ins Gericht: Als die ausländischen Truppen ihren endgültigen Rückzug im Mai begonnen hätten, seien Washington und Kabul überzeugt gewesen, dass das afghanische Militär den Taliban einen harten Kampf liefern werde. Mit 300 000 Mann Personal und Multi-Milliarden-Dollar schwerem Equipment seien die afghanischen Streitkräfte auch deutlich besser ausgestattet als die Taliban - aber nur "auf dem Papier", wie die Tribune schreibt. In Wahrheit seien die afghanischen Sicherheitskräfte durch Korruption, schwache Führung, fehlendes Training und sinkende Moral geschwächt gewesen. US-Inspektoren hatten lange vorher gewarnt, dass die Streitkräfte nicht belastbar seien.

Der Telegraph aus Kolkota referierte die Ansprache von Joe Biden im Weißen Haus vom Montag und bezeichnete den US-Präsidenten als trotzig und unwillig, die Schuld für den schlampigen Rückzug auf sich zu nehmen. In Bezug auf die Bilder von startenden Militärmaschinen zitierte der Telegraph Biden mit den Worten, er habe auf die harte Tour gelernt, "dass es wohl nie einen guten Zeitpunkt gab, die US-Truppen abzuziehen." David Pfeifer

Russland

Wer will, kann Genugtuung aus den russischen Kommentaren herauslesen. "Nach zwei Jahrzehnten Krieg, den die Amerikaner entfesselt haben, fliehen ihre Soldaten und hinterlassen Chaos", schreibt die Regierungszeitung Rossijskaja Gaseta. Das "Ausmaß der Katastrophe" sei so offensichtlich, "dass man in Washington kaum versucht, sich zu rechtfertigen, sondern die Schuld aufeinander abwälzt".

Washingtons Verbündete, schreibt Fjodor Lukjanow, Chefredakteur der Zeitschrift Russland in der globalen Politik, versuchten nun "verzweifelt zu verstehen, warum sie gezwungen wurden, zwanzig Jahre lang in einem Krieg, den keiner von ihnen brauchte, viel Geld auszugeben und das Leben ihrer Bürger zu opfern". Schlimmer noch - die Ereignisse zeigten, "dass sich die Amerikaner in einer solchen Situation ausschließlich um sich selbst kümmern" - die Folgen für andere interessierten sie nicht.

Der Radiosender Echo Moskwy interviewte Samir Kabulow, Russlands Sondergesandten für Afghanistan. In amerikanischen Medien versuche man nun "Parallelen zum Abzug der sowjetischen Truppen zu ziehen, man sagt, auch damals sei das Regime zusammengebrochen. Nichts dergleichen", so Kabulow. Der von Moskau installierte Präsident habe sich damals noch drei Jahre gehalten, nun brach die Regierung ein, noch bevor die Amerikaner gegangen seien. "Das ist ein grundlegender Unterschied." Ende der Achtzigerjahre waren es sowjetische Truppen, die nach großen Verlusten aus Afghanistan abzogen, ohne ihre Mission erfüllt zu haben. Wohl auch deswegen scheint bei den russischen Kommentatoren nun ein wenig Schadenfreude durch. Silke Bigalke

USA

In der New York Times kommentiert Thomas L. Friedman, er habe immer Zweifel an der Mission in Afghanistan gehabt. Das Problem sei nie gewesen, die afghanischen Streitkräfte zu trainieren, sondern ihre Loyalität zur pro-westlichen Regierung sicherzustellen. Denn die Bevölkerung von oftmals besetzten Ländern wie Afghanistan tendiere häufig dazu, sich lieber einheimischen Tyrannen zu unterwerfen als wohlwollenden Fremden. Für Urteile sei es indessen noch zu früh: Ein schlimmeres Erwachen sei für die Regierung Bidens zwar kaum vorstellbar, und die Versäumnisse bei der Evakuierung seien "entsetzlich und unerklärlich", es komme aber mehr noch auf die Zeit danach an. Und auch die Taliban würden bald Probleme bekommen, wenn sie nicht nur mal eben ein ganzes Land übernehmen wollen, sondern sich dazu noch in der Nachbarschaft mit Pakistan, Indien, China, Russland und Iran wiederfänden.

Auch die sonst eher den Republikanern nahestehende Jennifer Rubin verteidigte Bidens Entscheidung in der Washington Post. Wenn ein Fehler gemacht wurde, dann war es zu großes Vertrauen in die Behauptungen des Militärs, die Lage in Afghanistan stabilisiere sich. Rubin kritisiert die Kritiker Bidens: Man solle der Regierung doch eine Chance geben, die Lage nun unter Kontrolle zu bekommen und so viele afghanische Verbündete wie möglich zu retten. Der konservative Kolumnist Marc Thiessen widersprach in derselben Zeitung. Was Biden in Afghanistan entfesselt habe, sei das Beschämendste, das er in den vergangenen drei Jahrzehnten in Washington erlebt habe. Entweder, Biden habe keine Ahnung gehabt, was er anrichtet, oder die Konsequenzen seien ihm egal gewesen. Er habe den Taliban "grünes Licht gegeben". Auch die Beschuldigungen der afghanischen Armee seien falsch. Die habe in den letzten Jahren sehr wohl gekämpft, ohne amerikanische Unterstützung aber keine Chance mehr gehabt.

In sehr ähnlichem Wortlaut kritisiert Miranda Devine bei Fox News den Abzug. Die demütigenden Szenen am Flughafen von Kabul sowie amerikanisches Militärgerät in den Händen der Taliban seien vermeidbar gewesen. Ihre Kritik an der Entscheidung und dem Abzug weitet sie zu einer grundsätzlichen Kritik an Bidens Regierung aus. "Das sind keine Fehler, die man einfach rückgängig machen kann. Sie werden Auswirkungen bis weit in die Zukunft haben." Nicolas Freund

Afrika

In Nigeria befassen sich die Zeitungen mit den neusten Infektionszahlen, in Südafrika schreiben sie über die Korruption in der Regierung und in Eritrea wird vermeldet, dass eine hochrangige Delegation der Regierung gerade zu Konsultationen nach Saudi-Arabien aufgebrochen sei. Die Geschehnisse in Afghanistan, sie sind in vielen afrikanischen Medien eher eine Randnotiz. Die Auslandsberichterstattung ist in vielen Zeitungen und TV-Sendern so gut wie nicht vorhanden, was ökonomische Gründe hat, es fehlt das Geld für Korrespondenten. Es liegt aber vielleicht auch am mangelnden Interesse der Leser und Zuschauer. Zumindest im Netz wird darüber diskutiert, was die Ereignisse in Afghanistan nun für Afrika bedeuten können. Einige Eritreer sehen den überstürzten Abzug der Amerikaner als eine gute Sache, als Sieg des Anti-Imperialismus. Ihre Schlussfolgerung: Die USA sollten erst gar nicht versuchen, sich in den Bürgerkrieg im Norden Äthiopiens einzumischen, in den auch Eritrea involviert ist. In Kenia machen sich die Nutzer eher Gedanken, was eine Taliban-Herrschaft für die Bedrohung durch die islamistischen Terroristen von Al-Shabab aus dem Nachbarland Somalia bedeutet. Bernd Dörries

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