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Gameshow "Siren" auf Netflix:So wollen wir nicht gewinnen

Lesezeit: 2 min

In "Siren" geht es ums Überleben auf einer verlassenen Insel. Das Format ist bekannt, und doch ist die südkoreanische Inszenierung komplett anders.

Von Jürgen Schmieder, Los Angeles

"Ach, so kann eine Reality-Gameshow auch inszeniert werden?" Das ist der Gedanke, der einem immer wieder kommt beim Betrachten der südkoreanischen Netflix-Sendung Siren. Die Unterschiede zu amerikanischen oder deutschen Wettkampf-Formaten sind eklatant: Was für ein wunderbarer und respektvoller Umgang mit diesen Kandidatinnen, die ja wirklich nichts anderes wollen, als zu zeigen, was sie draufhaben - wie schon in den anderen Netflix-Reality-Formaten aus diesem Land, Physical 100 (Fitness) und Dance 1oo (Choreographie).

In Siren marschieren nun 24 Frauen durch Schlamm zu einer verlassenen Insel, auf der sie sieben Tage lang überleben und gegeneinander antreten müssen - in sechs Teams, aufgeteilt in Polizistinnen, Feuerwehrfrauen, Leibwächterinnen, Soldatinnen, Athletinnen und Stuntfrauen. Das sind, wie man in den USA sagen würde, 24 Badass Boss Bitches, die ganz genau wissen, was sie tun - und die um nichts anderes kämpfen als die Ehre.

Das ist der erste, gravierende Unterschied zu anderen Formaten: Es gibt kein Preisgeld, keinen Plattenvertrag - und damit auch keine moralischen Debatten nach dem Motto: "Ja, ich habe den hintergangen, mit dem ich eine Zusammenarbeit verabredet habe - aber hey, so sind die Regeln, und ich will nun mal die Million Dollar gewinnen!" In Siren dagegen verzichtet zum Beispiel das Soldatinnen-Team darauf, beim Ausheben eines Brunnens mit einem Team zu tauschen, das bereits weiter vorangekommen ist - entweder mit dem eigenen Ding gewinnen oder gar nicht. Oder später während einer der sogenannten "Base Battles" - es geht darum, die Flagge eines anderen Teams aus deren Unterkunft zu stehlen und die Gegnerinnen darüber aus dem Wettbewerb zu eliminieren - könnten die Sportlerinnen die Soldatinnen hintergehen und sie über eine vorgeschlagene Allianz mit Feuerwehr- und Stuntfrauen rauskegeln; es gibt nicht einmal eine Debatte darüber, sondern lediglich die Ansage: So wollen wir nicht gewinnen!

Das führt zum zweiten großen Unterschied: Niemand wird zum Bösewicht stilisiert oder der Lächerlichkeit preisgegeben, wie man das aus deutschen Formaten wie Deutschland sucht den Superstar, oder Germany's Next Topmodel (die "Talentbefreiten", die "unsympathischen Zicken", die "Überehrgeizigen") kennt. Alle zehn Folgen zeigen hingegen, was für hochbegabte und bestens trainierte Leute da im Wettbewerb gegeneinander antreten. Und wie respektvoll sie miteinander umgehen, sogar die Leistungen anderer loben. Die Entscheidungen der Schiedsrichter verständnisvoll hinnehmen und eigene Fehler sehen, anstatt das Reglement zu hinterfragen.

Es entsteht ein Gameshow-Format, bei dem das Gewinnen, um das es natürlich geht, oft kommt es zu heftigen Kämpfen und teils beängstigenden Verletzungen, gar nicht so im Vordergrund steht. Vielmehr geht es darum zu zeigen, was passiert, wenn man Leute an ihre Grenzen treibt. Das ist faszinierend und so anders als man es gewohnt ist.

Irgendwann vergisst man auch die typisch südkoreanische Dramaturgie (wichtige Momente werden drei Mal nacheinander gezeigt, weil Koreaner diese Sendungen meist nebenher gucken und der Dreiklang das Signal ist, jetzt hinzusehen - was man, kleiner Hinweis an Netflix, auch durch raschere Schnitte oder Synchronisierung statt Untertiteln lösen könnte), und kommt zu dem Schluss: "Ach, so kann man das auch inszenieren."

Siren, auf Netflix.

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