Süddeutsche Zeitung

Habeck bei Lanz:Auf einmal rutscht der Gastgeber auf dem Stuhl herum

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In seiner Sendung lockt nicht Markus Lanz Grünen-Chef Robert Habeck aus der Reserve - sondern umgekehrt.

Von Willi Winkler

Nach zwanzig Minuten drohte sich Robert Habeck bei Markus Lanz in eine Art Finanzberater zu verwandeln. Das Wort Vertrauen fiel zum x-ten Mal, er wollte es aufbauen, wiedergewinnen, sah es als Leitwährung, außerdem war er bereit, Verantwortung zu übernehmen - und vergaß niemals den Hinweis, dass es mit der Kommunikation in letzter Zeit nicht so gut gelaufen sei bei den Grünen. Er trug so schwer an der Verantwortung, dass der nächste logische Schritt nur mehr darin bestehen konnte, dass er einem ETFs andrehte oder irgendwelche Kryptowährungen zum Dumpingpreis. Der Mann wird, so prophezeite es zumindest der österreichische Virologe Peter Kremsner in der Talkrunde, der nächste deutsche Bundeskanzler. So kühn die Prognose erscheint, verständlich ist sie in diesem Fall doch: Als Österreicher muss Kremsner mit dem hallodrigen Kindkaiser Kurz leben, gegen den das staatsmännische Floskeln Habecks wirklich eine Labsal böte.

Lanz machte, was er am besten kann und fing an zu sticheln

Der Co-Vorsitzende der Grünen musste bei Markus Lanz die Co-Vorsitzende und Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock vertreten, von der es heißt, sie habe ein Buch geschrieben, von dem Habeck behauptet, dass er es gelesen habe. Geschrieben hat er es nicht, denn er sei, wie er melancholisch kundgab, nun schon seit fünfzehn Jahren kein Schriftsteller mehr, sondern verdiene sein Geld mit Politik. Aber zu den Plagiatsvorwürfen gegen seine Co-Vorsitzende, dazu musste sich nun auch Habeck verhalten. Lanz machte, was er am besten kann, er stichelte nach Kräften wegen dieses Buches und bediente sich für seine Fragen an Habeck bei Interviews von Kollegen, machte dabei aber, anders als die neuerdings als Autorin bekannt gewordene Baerbock, großzügig Quellenangaben, wenn er aus der Zeit, aus der Süddeutschen oder aus Brigitte TV zitierte.

Und da begab sich ein mittleres Wunder: Habeck nutzte seine geschäftsfördernde Bräune nicht, um Wertpapiere ohne Wert zu verkaufen, sondern parierte das Necken von Lanz so erfolgreich, dass nicht der Gast, sondern der Gastgeber auf seinem Stuhl herumzurutschen begann. Habeck lobte Lanz, er lobte die Sendung, er zuckte mit den Schultern und strahlte bei jeder Frage übers ganze Gesicht. Dass die Kollegin für eine Reportage über eine Reise zu den Jesiden von einer anderen Reportage über eine Reise zu den Jesiden abgekupfert hatte, nannte er "nicht cool". Die Frage, ob er Annalena Baerbock den Rücktritt empfehlen würde, fand er die falsche Frage, außerdem ginge es ums große Ganze.

Lanz machte keinen Stich gegen Habeck. Der packte sein Germanistikstudium aus, bezeichnete populärwissenschaftliche Literatur nicht bloß als "merkwürdige Gattung", sondern als "schwarzen Schimmel" und lief sogar koprologisch zur Hochform auf, indem er nicht nur "Shit happens!" drauf hatte, sondern von dem löblichen Gebot sprach, "den Menschen keinen Scheiß zu erzählen". Es muss schiere Verzweiflung gewesen sein, als Lanz seinen Gast dann von dessen erfolgreicher Politik als Umweltminister in diesem Schleswig-Holstein, wo man offenbar so schön braun wird, schwärmen ließ und ihm zum Schluss auch noch bescheinigte, dass er - nicht Lanz, sondern Habeck - "sehr solide politische Arbeit" gemacht habe. Die Verantwortungsbereitschaft ist bei den Grünen jedenfalls da.

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