Süddeutsche Zeitung

Pressefoto des Jahres:Hauptsache schockierend

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Das Pressefoto des Jahres zeigt einen Mann, der in Flammen steht. Die Wahl der Jury des "World Press Photo Award" zeigt das Manko des Wettbewerbs.

Von Carolin Gasteiger

Ein Mann steht in Flammen. Vielmehr: Er rennt davon, eine Ziegelmauer entlang und zieht einen Feuerschweif hinter sich her. Die Flammen greifen bereits auf seinen Kopf über, der unter einer Gasmaske steckt.

Ronaldo Schemidt hat das Bild in der venezolanischen Hauptstadt Caracas aufgenommen, wo Tausende gegen die demokratiefeindliche Regierung von Präsident Nicolas Maduro auf die Straßen gingen. Auch José Víctor Salazar Balza, der Mann mit der Gasmaske. AFP-Fotograf Schemidt stand nur wenige Meter neben dem 28-jährigen Demonstranten, als ein Motorrad der Nationalgarde explodierte und Balza Feuer fing. Nun wurde die Aufnahme zum Pressefoto des Jahres gekürt. Und die Begründung der Juryvorsitzenden Magdalena Herrera klingt ebenso erhaben wie verharmlosend: "Mich überkamen unmittelbar Gefühle." Aber diese Gefühle resultieren aus Krieg, Krisen und Katastrophen, dem Dilemma des Wettbewerbs.

Mal wieder Krisen, Krieg und Katastrophen

Im Jahr 2016 zeigte das Siegerbild einen Mann, der sein Baby durch Stacheldraht reicht, im vergangenen Jahr kürte die Jury eine Aufnahme, die einen Mord dokumentiert. Unter den diesjährigen Finalisten (die zum ersten Mal vorab veröffentlicht wurden) waren thematisch ein Terroranschlag, tote Rohingya-Flüchtlinge, vertriebene Zivilisten im Irak und ein von Boko Haram entführtes Mädchen. Kurz: mal wieder Krisen, Krieg und Katastrophen.

Traditionell wird ein Nachrichtenbild als Pressefoto des Jahres ausgewählt. Lars Boering von der World Press Photo Stiftung sagte vorab, visueller Journalismus solle die Menschen berühren. Aber funktioniert das nur, je expliziter Schmerz und Leid eingefangen werden? Je mehr Flammen, Blut und Tod, desto relevanter?

Als einmalige Warnung, wohin Hass, Konflikte und Vertreibung führen können, kann es richtig sein, auch ein grausames Bild zum Pressefoto des Jahres zu küren. Ja, zur Not darf das auch einen Mord zeigen. Wenn allerdings Jahr für Jahr grausame Bilder ausgezeichnet werden, verflüchtigt sich der appellative Effekt eines Bildes und verkommt zum Kriegs- und Krisenvoyeurismus.

Viel souveräner wäre es gewesen, hätte die Jury unter den mehr als 73 000 Aufnahmen ein weniger explizites Bild gewählt. Und nein, es muss auch nicht immer ein "hartes" Nachrichtenfoto sein. Eines, das seine Wirkung nicht dadurch erzielt, dass jemand einem grausamen Moment zufällig aus nächster Nähe beiwohnt. Eines, das andere Lebensumstände als Krieg, Krisen und Katastrophen dokumentiert. Die Vertriebenen aus West-Mosul etwa oder das von Boko Haram entführte Mädchen weisen auch auf Krisen in der Welt hin, allerdings ungleich subtiler als ein Mensch, der in Flammen steht.

José Víctor Salazar Balza überlebte die Explosion mit Verbrennungen ersten und zweiten Grades. An der Wand hinter dem flüchtenden Balza ist, ganz klein, eine Pistole aufgesprüht. Vor deren Lauf steht das Wort "paz". Frieden.

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