Süddeutsche Zeitung

Neue Staffel "Top of the Lake":"Niemand wird dir je Macht abgeben. Die Macht muss man sich nehmen"

Lesezeit: 4 min

In der zweiten Staffel der grandiosen Krimiserie "Top of the Lake" kämpfen Mutter und Tochter mit der Vergangenheit - und mit dem gewaltsamen Patriarchat.

Von Kathrin Hollmer

Mit Vergleichen ist das so eine Sache, vor allem, wenn man wie die Miniserie Top of the Lake nur mit Großem verglichen wird. Bereits die erste Staffel der Oscar-prämierten neuseeländischen Regisseurin und Drehbuchautorin Jane Campion wurde 2013 als neuseeländische Antwort auf Twin Peaks bezeichnet - wie in David Lynchs Serie lauern auch hier Abgründe und Geheimnisse in der Provinz. Sie sind zwar weniger übersinnlich und absurd, aber nicht weniger grausam: Die Hauptfigur, Detective Robin Griffin, deckte im neuseeländischen Kaff Lake Top ein Netzwerk aus Kindesmissbrauch und Korruption auf, in das auch ihr Vorgesetzter verstrickt war. Wie in Twin Peaks sind die Schnitte langsam, die Stimmung elegisch, und auch bei Top of the Lake ist die Krimihandlung nur ein alibihafter Rahmen für die wirkliche Geschichte.

Vor vier Jahren wurde die erste Staffel als Ereignis gefeiert und unter anderem mit einem Emmy und die Hauptdarstellerin Elisabeth Moss ( Mad Men, The Handmaid's Tale) mit einem Golden Globe ausgezeichnet. Campion schloss eine Fortsetzung zunächst aus. Als sie dann entschieden hatte, doch eine zweite Staffel zu drehen, fragten Nicole Kidman und Gwendoline Christie ( Game of Thrones), ob sie mitspielen dürfen. "Nicole war ihre Rolle erst zu klein", sagt Jane Campion beim Film Festival Cologne, bei dem sie im Oktober mit dem Hauptpreis ausgezeichnet wurde. "Also musste ich ihren Part ausbauen."

Die Erwartungen sind hoch. In den neuen Folgen gibt es deutliche Parallelen zur ersten Staffel: Dort spielte der Mikrokosmos einer Gruppe älterer Frauen eine Rolle, die mit einem weiblichen Guru ein Container-Dorf aufbauen. In der Fortsetzung gibt es eine Gruppe verklemmter Nerds, unter dem Gesichtspunkt der Skurriliät reichen sie an die menopausale Container-Kommune allerdings nicht heran. Statt eines unheimlichen Österreichers gibt es nun einen unheimlichen Deutschen. Wieder geht es um Ausbeutung, sexuelle Gewalt, übergriffige Kollegen und die Auflehnung der Frauen dagegen, dieses Mal auch um Menschenhandel und Prostitution. In der ersten Staffel verschwand ein zwölfjähriges, schwangeres Mädchen. In der Fortsetzung, Top of the Lake: China Girl, die vier Jahre später ansetzt, flieht Robin nach einer geplatzten Hochzeit aus ihrem Heimatort nach Sydney, wo am Bondi Beach in einem Koffer die Leiche einer jungen Asiatin angespült wird. Wieder muss man an Laura Palmer denken, die bei Twin Peaks in Plastik gewickelt ans Seeufer trieb.

"Moral interessiert mich nicht", sagt Jane Campion

Und doch ist alles anders als in den Vorbildern. Nur Robin kennt man aus den alten Folgen, ein paar bekannte Gesichter tauchen in Rückblenden und in einem Gastauftritt auf. Zog sich in der ersten Staffel ein gewaltsames Patriarchat durch die Handlung, seziert Campion in den neuen Folgen das Thema Mutterschaft: den verzweifelten Kinderwunsch, thailändische Leihmütter, die wie Gefangene gehalten werden. Und vor allem findet Robin ihre 17-jährige Tochter Mary wieder, die sie mit 16 bekam, nachdem sie von drei Männern vergewaltigt wurde, und damals zur Adoption freigab. Gespielt wird Mary auch noch von Campions Tochter Alice Englert.

Robin sucht im Internet nach Mary, beobachtet ihr Haus, und als Mary plötzlich vor ihrem Auto über die Straße läuft, hält man mit ihr den Atem an: Sie erkennt die Tochter, obwohl sie sie nie gesehen hat. Die zaghafte Annäherung der beiden ist mit das Stärkste in den neuen Folgen.

Als Mutter fühlt sich Robin nicht, doch Julia, Marys Adoptivmutter (Nicole Kidman), macht ihr die Rolle trotzdem streitig. "Eine Mutter ist für ihr Kind da, sonst ist sie keine", wirft Julia ihr vor. Sie selbst hat ihren Mann verlassen, um mit einer Frau zusammenzuleben, Mary will das Gegenteil von dem, was Julia ihr vorlebt: bloß keine Feministin sein, die Schule abbrechen, heiraten, und zwar ihren Freund Alexander - genannt "Puss" - aus Deutschland. Alexander ist 42, die zotteligen Haare fallen ihm über die Schulter, er lebt über einem Bordell, gibt Prostituierten Sprachunterricht und zitiert Dostojewski. Was Mary alles tut, um Alexander zu gefallen, ist manchmal schwer zu ertragen.

Dennoch schafft es Jane Campion, nicht zu werten. "Moral interessiert mich nicht", sagt sie. "Lieber versetze ich mich in die Menschen hinein und versuche herauszufinden, warum sie tun, was sie tun." Campion, die Regie führte und das Drehbuch mit Co-Autor Gerard Lee schrieb, ging in Bordelle, bezahlte Prostituierte, um mit ihnen sprechen zu können. "Sie halfen uns, das Set realistisch zu gestalten und gaben den Schauspielern Tipps", sagt sie.

Die zweite Staffel ist noch mehr Vergangenheitsbewältigung, gleichzeitig sind die Folgen leise und subtil, mit sanftem Humor, für den vor allem Robins Kollegin Miranda (Gwendoline Christie) sorgt, die einen Kopf größer ist als sie und unbeholfen neben ihr herstelzt. Statt rauer neuseeländischer Wälder und Seen im Nebel fangen die Kamerafahrten nun Sydneys Küste ein und Straßen, die Autoscheinwerfer beleuchten. Campion schuf wahre Gemälde - sogar der Koffer mit der Leiche steigt nicht einfach an die Wasseroberfläche. Er tanzt, während sich die Haare durch den Reißverschluss schlängeln und eine Unterwasserskulptur bilden.

Heute müssen Film- und Fernsehermittler oft einen Knacks haben, selten wird das so großartig komponiert wie bei Campion. Robin ist in der Fortsetzung noch kaputter, bald ist sie auch körperlich lädiert, hat Würgemale am Hals und Bissspuren im Gesicht. Nicole Kidman mag in ihrer Rolle großartig sein, doch sie bleibt im Schatten des überragenden Spiels von Moss und Englert.

"Männer finanzieren und machen Filme, in denen sie gut dastehen", sagt Jane Campion, "und in denen die Frauen den Männern gefallen." Campions Frauen wollen niemandem gefallen, sie kämpfen. Keiner der Männer aus den beiden Staffeln taugt zum Helden, was nicht bedeutet, dass sie nicht vielschichtig sind. Als Alexander beim Abendessen Marys Adoptiveltern erklärt, die Bestimmung des Mannes sei, "die Frau zu versklaven", traut man ihm beides zu: dass er das ernst meint und dass er damit Missstände kritisiert. "Niemand wird dir je etwas von der Macht abgeben. Die Macht muss man sich nehmen", sagt er einmal zu Mary. Und wenn Jane Campions Frauen eines können, dann das.

Top of the Lake: China Girl , Arte, immer donnerstags als Doppelfolge ab 20.15 Uhr; die erste Staffel ist online bei Arte abrufbar.

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Quelle:
SZ vom 07.12.2017
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