Neue Staffel "Fargo":Kürzere Serien sind das bessere Kino
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"True Detective" und "Fargo" vereinen das Beste aus zwei Welten. Eine Liebeserklärung an das schnellere Ende.
Von Julian Dörr
Seit einigen Jahren gibt es diesen Vergleich, die TV-Serie sei so etwas wie der Gesellschaftsroman unserer Zeit. Mad Men und die "Buddenbrooks", Breaking Bad und "Doktor Faustus". Die ganz großen Geschichten von Schuld und Sühne, komplexe Erzählstrukturen, Epochenwerke. Dieser Vergleich muss jetzt noch einmal bemüht werden, denn wenn er denn stimmt, wäre dies ein Appell, wieder mehr Kurzgeschichten zu lesen. Franz Kafka statt Thomas Mann. Oder, um den Vergleich wieder zurück in die Welt der Serien zu holen: Fargo, True Detective und Black Mirror statt Dutzender Staffeln Mad Men, Breaking Bad oder House of Cards.
Im Grunde gibt es schließlich nur zwei Macharten des Seriendramas: die Formate, die ihre Geschichte über viele Staffeln hinweg entwickeln, die einen weiten Bogen spannen. Die klassische Erzählung von Aufstieg und Fall. Don Draper, Walter White, Frank Underwood. Und dann gibt es noch die Formate, die das nicht tun. Die in einer Staffel eine abgeschlossene Geschichte behandeln. Die das Große nicht im Großen erzählen, sondern im Kleinen. Die in eben dieser Staffel alles verheizen, was sie an großartigen Ideen an die White Boards ihrer writers' rooms gepinnt haben. Die alle paar Episoden Kahlschlag machen. Handlung, Orte, Schauspieler. Alles raus.
Die Anthologie-Serie ist die Vermählung von big screen und small screen
Eine dieser sogenannten Anthologie-Serien ist die sehr gute Serie Fargo, die mit Ewan McGregor in neuer Hauptrolle gerade bei Netflix in die dritte Runde gestartet ist. Orientiert sich die erste Staffel mit Martin Freeman und Billy Bob Thornton noch lose am gleichnamigen Film der Coen-Brüder von 1996, dreht die Serie in der zweiten Staffel vollends frei und erzählt die Geschichte des State Troopers Lou Solverson und einer an Einfluss verlierenden deutsch-amerikanischen Mafia-Familie im Mittleren Westen der späten Siebziger. Klassische Krimi-Elemente vermischen sich mit UFO-Spinnereien und Western-Shoot-Outs. Doch eigentlich geht es in dieser Staffel um Männer, die allesamt müde Kriegsheimkehrer sind, und um eine Gesellschaft, die unaufhaltsam in die soziale Kälte der Reagan-Jahre rutscht. Fargo schafft diesen Bogen in gerade einmal zehn Folgen.
Wie die literarische Anthologie eine Zusammenstellung unterschiedlicher Texte und Kurzgeschichten unter einem übergeordneten Thema bezeichnet, versammeln sich auch die einzelnen Staffeln oder Episoden dieser Serien unter einem großen Motiv. In Fargo sind es die tiefschwarzen Abgründe, die sich in den Provinzstädtchen des amerikanischen Mittleren Westens auftun. American Horror Story ist - wie schon der Titel verspricht - ein Streifzug durch die Standardsituationen des Horrorgenres, vom Hexenzirkel über das Vampirhotel bis zum Irrenhaus. Black Mirror behandelt in jeder Episode eine neue Dystopie, die düstere Vision einer zukünftigen Gesellschaft gone wrong, während sich True Detective komplexen Kriminalfällen widmet, aber eigentlich von der ewigen Plackerei des Menschen mit den Kräften des Guten und des Bösen erzählt.
Was diese Serien aber vor allem von ihren langlebigeren Konkurrenten unterscheidet, ist das omnipräsente Gefühl der Vergänglichkeit, das sie von der ersten bis zur letzten Szene durchdringt. Die paradoxe Schönheit des Endes, dem man entgegenfiebert und das doch niemals kommen soll. Der Abschied von Don Draper oder Walter White, er soll so weit hinausgezögert werden wie möglich. Aber was, wenn sich der Seriencharakter auf einmal selbst überlebt? Wenn die Geschichte sich so lange weiterschleppt, dass man als Zuschauer keine Spannung, sondern Mitleid empfindet für diese Protagonisten, die zwar ihrem Ende entgegentaumeln, aber niemals fallen, niemals ankommen dürfen? So wie bei dem zum Großkriminellen aufgestiegenen Chemielehrer Walter White, der nach fünf Staffeln endlich untergehen darf - auch für den Breaking- Bad-Enthusiasten eine Staffel und ein paar Handlungshaken zu spät.
In der Endlosigkeit der Erzählstränge haben die Serienmacher und Produzenten vergessen, welche Gewalt eine abgeschlossene Narration entfalten kann. Welche Wucht von einem Ende ausgeht, das ein Ende ist und eben nicht nur ein Staffelfinale. Beinahe so dicht und komprimiert wie ein Film, aber natürlich tiefer und vielschichtiger. Das Beste aus zwei Welten. Die Vermählung von big screen und small screen, endlich wirklich das goldene Zeitalter der Serie.
In absoluter Reinform zeigt das die (zu Unrecht von Kritik und Fans verschmähte) zweite Staffel von True Detective. Eine zutiefst fatalistische Geschichte, einer griechischen Tragödie gleich, in der das Schicksal unausweichlich ist und die Charaktere nur ihrem Ende entgegen stolpern können. Gefangen in einer elenden Welt, einer Welt der Verlierer und Abgehängten, einer Noir-Albtraumversion Kaliforniens. Am Horizont immer präsent und nie erreicht: das Versprechen der Wolkenkratzer von Downtown Los Angeles. Da ist der Gangster, der kein Gangster sein will. Der völlig fertige Cop, der ein nicht mehr ganz so fertiger Cop sein will. Acht Folgen lang ein Abstieg in die Hölle, der Zuschauer kreist um diese Charaktere, er klebt an ihnen. Lange genug, um sich tief in sie hineinzufühlen. Nicht lange genug, um sie wieder zu verlieren, ihrer überdrüssig zu werden. Man folgt diesen Männern und Frauen, wie sie ringen mit dem Fall, ihren korrupten Vorgesetzten, ihrer Vergangenheit, ihrem Vermächtnis. Ein elender Kampf. Dann, endlich, der Durchbruch. Kommt nun Hoffnung, Erlösung, Klarheit? Nein. Schluss.