Süddeutsche Zeitung

"Midnight Mass" auf Netflix:Wie bei Stephen King

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In der Serie "Midnight Mass" wird eine kleine amerikanische Gemeinde vom Bösen heimgesucht.

Von Sarah Zapf

Glaube und Religion waren bereits in vielen Horror-Filmen und -Serien ergiebige Leitideen. Der Streaming-Anbieter Netflix wartet nun mit der neuen Horrorserie Midnight Mass des Spuk in Hill House-Machers Mike Flanagan auf. Kein Geringerer als Stephen King, der Großmeister des Horrors, bedachte die sieben Folgen bereits mit reichlich Lob. In Flanagans dritter Netflix-Serie handelt es sich jedoch nicht um eine weitere Buchadaption wie bei seinen ersten beiden vielbeachteten Horror-Produktionen, sondern um ein fiktives Originalwerk, das mit persönlichen religiösen Erfahrungen des Autors angereichert wurde. Flanagan ist in Midnight Mass neben dem Drehbuch auch für Regie und Produktion verantwortlich.

Der Handlungsort ist eine kleine Insel namens Crockett Island, deren Einwohner eine eingeschworene Gemeinschaft bilden. Der einstige Geschäftsmann Riley Flynn (Zach Gilford) kehrt auf die Insel in das Haus seiner Eltern zurück, nachdem er vier Jahre im Gefängnis saß. Nicht alle sind glücklich über seine unerwartete Rückkehr. Einzig seine Mutter Annie (Kristin Lehman) sowie seine frühere Freundin Erin Greene (Kate Siegel) heißen ihn willkommen und versuchen, ihn wieder in die Gemeinschaft einzugliedern. Mit offenen Armen wird dagegen der neu angekommene charismatische Priester Paul Hill (Hamish Linklater) empfangen, der seinen Dienst in der kleinen Kirche St. Patrick antritt. Der Kleriker macht mit seiner Redekunst und tiefen Religiosität die Bewohner rasch zu folgsamen Gemeinschäfchen. Besonders die als verrückt geltende Bev Keane (Samantha Sloyan) ist von ihm angetan und verbreitet ihren Glauben mit fanatischem Übereifer. Doch nach und nach mehren sich eigenartige Vorkommnisse und unheilvolle Wunder, für die es keine Erklärung gibt.

In den Uppards des Eilands, ein Gebiet nahe dem Strand, soll einer Mär nach der Geist eines toten Fischers sein Unwesen treiben, am Strand werden in einer Sturmnacht Hunderte tote Katzen angespült. Kontrastierend gezeigt wird das scheinbar beschaulich-heimelige Inseldasein, wie das jährliche Crock-Pott-Gemeindetreffen mit Folk-Musik und selbstgebackenen Kuchen. Ein im Rollstuhl sitzendes Mädchen kann plötzlich wieder gehen, was natürlich den Glauben an ein göttliches Wunder nährt. So kristallisiert sich rasch das Hauptthema heraus, das sich auch in den Titeln der Folgen widerspiegelt: Genesis, Psalmen, Klagelieder. Auch die Offenbarung fehlt nicht, die erwartungsgemäß am Ende steht.

Die Bekenntnisse und seligen Vergebungsakte in der Gemeinschaft werden durch hochemotionale Familientragödien, tiefsitzende Feindseligkeiten und verstörende Szenen wie das lüsterne Trinken von Blut durch den Priester oder das plötzliche Verschwinden der Schwangerschaft von Erin überschattet. Am Ende entwickelt sich ein frenetischer Überlebenskampf auf der vom Festland weit abgeschiedenen Insel, in dem nur wenige klaren Verstandes bleiben und sich so dem Albtraum apokalyptischen Ausmaßes entziehen können.

Mit dieser Serie hat Flanagan ein weiteres Meisterwerk geschaffen. Nicht nur die szenische Darstellung ist bildgewaltig. Langsam und doch intensiv entfalten sich die einzelnen Charaktere. Der aufkeimende religiöse Fanatismus offenbart menschliche Abgründe der Selbstgerechtigkeit, der Verblendung und des Hasses. Und geschickt werden die Momente des blanken Grauens mit souveränen Verzicht auf gewöhnliche Schockeffekte eingestreut. Das alles erhebt Midnight Mass zu einem Wegbereiter eines neuen Horror-Genres.

Auf Netflix, sieben Folgen

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