Süddeutsche Zeitung

Medienkolumne "Abspann":Aus dem Hintergrund müsste Söder schießen

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Das ZDF gewinnt überraschend das Rennen um die beste politische Dokumentation dieses Wahlkampfes gegen Rekordmeister Stephan Lamby. Herzlichen Glückwunsch auch an das Publikum.

Von Cornelius Pollmer

Die Dokumentationen von Stephan Lamby sind wie guter Rotwein, man kann sie noch nach Jahren aus dem Keller holen, den Staub vom Etikett pusten und in Vorfreude zergehen schon beim Blick auf den Jahrgang. Es gibt, zum Beispiel, einen ganz hervorragenden 2018er Lamby über die Monate nach der Bundestagswahl. Horst Seehofer berichtet darin, der zunehmende Verlust von Vertraulichkeit sei "ein wirkliches Krebsübel" deutscher Politik, eine aus heutiger Perspektive mit Blick auf die Corona-MPKs fast kassandrische Aussage. Seehofer berichtet zudem, Angela Merkel habe ihm unter vier Augen gesagt: "Die wollen mich weghaben. Die FDP, die wollen mich weghaben." Politisches Puffmaiskino.

Der gerade veröffentlichte 2021er Lamby ist ein Primeur des nach wie vor andauernden Wahlkampfes. Es gibt Lamby-Immergutfinder, die auch diesen Film wieder gut finden. Es gibt aber auch leichte Enttäuschung. Ewig erzählt Lamby noch einmal alles Bekannte vom Feldherrenhügel, auf dem Laschet und Söder sich duellierten. Der Kandidat Scholz geht dem Film unterwegs immer wieder komplett verloren. Am Ende wird, von Flut bis Afghanistan, alles eilig vermurkst.

In Doku-Titeln zum Wahlkampf steht so oft das Wort "Macht", dass man sie kaum auseinanderhalten kann

Glücklicherweise machte auch das ZDF am Dienstagabend allen Bundesbürgern ein Dokumentationsangebot. Zwar kann man die Titel der vielen Dokumentationen, in denen immer irgendwie das Wort "Macht" vorkommen muss, überhaupt nicht mehr auseinanderhalten. Der ZDF-Film von Winnie Heescher und Lars Seefeldt aber bleibt dennoch in besonderer Erinnerung, weil er dieses sonderbare Wahlkampfjahr 2021 leise und aufschlussreich erzählt.

Viel und klug wird mit dem Prinzip Gegenschuss gearbeitet. Bürger betrachten politisches Geschehen üblicherweise durch die Augen journalistischer Pulks, die auf den Kandidaten gerichtet sind. Hier läuft die Kamera auch mal hinter Laschet her, man sieht, wie es aus seiner Sicht ausschaut. Sichtbar macht die Dokumentation auch den Irrsinn der Liveschaltenberichterstattung. "Noch führt Söder deutlich vor Laschet", sagt ein Reporter. Ein Satz, der schneller sauer wird als offene Milch auf dem Sommerbalkon. Toll ist zudem, dass der Film in seiner Zeitverteilung kaum einen Unterschied macht zwischen der Kandidatin Baerbock und dem Nicht-Kandidaten Habeck. So wird einem bewusst, dass es von Habeck strategisch richtig war, gleich nach der Kür Baerbocks der Zeit ein großes Niederlagen-Interview zu geben. All das, was er darin sagt, wäre viel stärker Thema gewesen bis heute, hätte er es damals nicht gesagt. Und selbst als die Kandidatin Baerbock das ZDF-Team einmal wegschicken lässt, ist das eine gute Szene. Man sieht echte Nervosität. Was für ein seltenes Glück in diesem meist hyperkontrollierten Wahlkampf.

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