Süddeutsche Zeitung

Kachelmann-Berufungsprozess:Wohl keine Rekord-Summe für Kachelmann

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Vor dem Oberlandesgericht Köln zeichnet sich eine geringere Entschädigung ab: Dass "Bild" berichtet habe, sei legitim, die Exzesse aber nicht.

Von Wolfgang Janisch

Es war beileibe nicht das einzige Verfahren, das Jörg Kachelmann nach seinem Freispruch im Mannheimer Vergewaltigungsprozess gegen diverse Medien geführt hat - aber mit Abstand das spektakulärste: 635 000 Euro Entschädigung hatte das Landgericht Köln dem Wettermoderator wegen der Berichterstattung in der Bild-Print- und Onlineausgabe zugesprochen - eine Rekordsumme, noch nie hatte ein deutsches Gericht jemandem eine derart hohe Summe wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts zugesprochen. Den bisher höchsten Betrag hatte 2009 die schwedische Prinzessin Madeleine erhalten, 400 000 Euro verhängte das Oberlandesgericht Hamburg wegen zahlloser frei erfundener Berichte über angebliche Schwangerschaften oder Hochzeiten. An diesem Donnerstag hat das Oberlandesgericht Köln über die Berufungen von Kachelmann und Springer verhandelt - und der Rekord wackelt: Der 15. Zivilsenat hat den Fall ausführlich vorberaten und konnte den Anwälten sogar eine - vorläufige - Größenordnung nennen: zwischen 395 000 und 415 000 Euro.

Die Vorsitzende Margarete Reske erläuterte mit großer Detailfreude, wie sich die Summe zusammensetzt. Es hatte etwas von einem Warenhaus: Die Richterin sortierte die verbotenen Bilder und Berichte und klebte ein Preisschild dran, wo das Gericht eine "schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung" zu erkennen meinte. Kachelmann mit nacktem Oberkörper auf dem Gefängnishof ("Hier sonnt sich Kachelmann im Knast"): je 30 000 Euro für Print und Online. Die Wiedergabe des "heißen" Chatverkehrs mit Popstar Indira: je 15 000 Euro. Und so ging es weiter: Die Schilderung bevorzugter Sexualpraktiken, Fotos vom Besuch bei seiner Anwältin, ein Bild von der "heimlichen Hochzeit im Schloss" - immer waren es Summen zwischen 10 000 und 30 000 Euro.

Kachelmanns Anwalt kritisiert: 400000 Euro seien für Springer nicht abschreckend genug

Wo genau nun der Rabatt um ein Drittel herkommt, lässt sich nicht so genau sagen - das Landgericht hatte darauf verzichtet, Einzelbeträge zu beziffern. Jedenfalls will sich auch das OLG - wie zuvor das Landgericht - offenkundig nicht der These von Kachelmanns Anwalt Ralf Höcker anschließen, Springer habe eine regelrechte Kampagne gefahren, um seinen Mandanten "in den Knast zu schreiben". "Eine gezielte und gesteuerte Kampagne sehen wir nicht", sagte Reske.

Die Richterin machte allerdings einige grundsätzliche Anmerkungen, die Aufschluss darüber geben, warum das OLG die Springer-Berichte in milderem Licht sieht. Ihr Vergleich zum Fall Madeleine zeigt: Die schwedische Prinzessin war in 86 Fällen einer völlig frei erfundenen Berichterstattung ausgesetzt - die Medien berichteten ohne jeglichen Anlass. "Das ist der Unterschied zu unserem Fall, in dem wir sagen, es gibt einen Anlass zur Berichterstattung." Soll heißen: Es gab ein spektakuläres Strafverfahren über eine schwere Straftat, es gab einen äußerst prominenten Angeklagten, es gab sogar einen Haftbefehl. Kein Zweifel, dass die Medien darüber berichten durften. Und kein Zweifel, dass für einen Prozess, in dem es um eine Sexualstraftat geht, intime Details eine Rolle spielen können. Sogar jene Teile der Verhandlung, von denen die Öffentlichkeit ausgeschlossen sei, seien für die Medien nicht generell tabu - allerdings sei dort besondere Vorsicht geboten.

Damit rückt das OLG das Bild in der Causa Kachelmann ein wenig zurecht: Es geht nicht darum, die legitime Berichterstattung der Medien über einen aufsehenerregenden Prozess zu beschneiden. Es geht vielmehr darum, die Exzesse einzudämmen. Schwere Verletzungen von Kachelmanns Persönlichkeitsrecht sieht das OLG vor allem dort, wo er in privaten Situationen fotografiert wurde oder intime Details ohne Zusammenhang zum Verfahren geschildert wurden. Der Kläger sei geradezu "ausgezogen" worden, sagte die Richterin zu einem offengelegten Chatprotokoll.

Aus Höckers Sicht handelt das OLG hier mit zu kleiner Münze. Die Entschädigung, die das OLG verhängen wolle, sei zu gering, um auf einen Mediengiganten wie Springer abschreckend zu wirken. 5000 Euro hier und 10 000 da - "das sind Beträge, über die die Beklagte lacht." Der Anwalt verwies damit auf eine Entwicklung, die sich zunehmend in Urteilen der Gerichte niederschlägt: Die Höhe der Entschädigung wird auch vom Präventionsgedanken geprägt - also der Idee, eine Art Strafe für den Ruin des guten Rufs in den Schadensersatz hineinzupacken. So hatte es der Bundesgerichtshof Mitte der Neunzigerjahre in der ersten der zahlreichen Caroline-Entscheidungen formuliert. Wie sehr sich die Prävention mittlerweile in den Entschädigungen niederschlägt, zeigt ein Vergleich zum klassischen Schmerzensgeld: Vergewaltigungsopfer bekommen normalerweise zwischen 3000 und 15 000 Euro.

Das OLG wird sein Urteil am 23. Juni verkünden. Die Berichterstattung über spektakuläre Prozesse wird auch danach noch möglich sein. Die Nutzung solcher Prozesse für vorverurteilende Spektakel dagegen wird in Zukunft teuer werden.

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SZ vom 29.04.2016
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