Süddeutsche Zeitung

Hörspiele:Blumen des Bösen

Lesezeit: 3 min

Drei Hörspiele, drei Lebensbilanzen: In unterschiedlichen Tonlagen rechnen fiktive Figuren und reale Personen radikal ab.

Von Stefan Fischer

"Ohne Gnade, ohne Scham erzählen, was nie war. Das Leben erfühlen. Da man es nicht finden kann." Um diesen Gedanken herum, den eine ihrer Figuren ausspricht, hat Eva-Maria Alves ein komplettes, 75-minütiges Hörspiel ersonnen: 90. Geburtstag. Um den Jubilar schart sich eine Gesellschaft aus An-und Abwesenden. Es wird mit- und übereinander und vor allem durcheinander geredet. Die Figuren begreifen das Alter als Gnade, weil es ihnen eine Koboldhaftigkeit zugesteht, eine Schrulligkeit und die Freiheit der Fantasterei.

Aber man sollte sie nicht unterschätzen. Ihre Lebensklugheit haben sie sich im Großen und Ganzen bewahrt, und damit lassen sie ein paar Nachgeborene, die aus verwandtschaftlicher Pflicht anwesend sind, ganz schön - nun ja: alt aussehen. Einer von den Jüngeren erzählt immer von Dubai und dass er da sofort nach der Feier wieder hinmüsse. Er platzt schier vor Wichtigkeit und muss dennoch ertragen, dass ihm die Alten seine Erbärmlichkeit haarklein ausbuchstabieren.

Sie genießen ihre Narrenfreiheit, haben nichts mehr zu verlieren. Lachen und husten, das ist eines bei ihnen und Anlass vieler Frotzeleien. Damit überdecken sie manche Lücken, die ihnen schmerzlich bewusst sind - in ihrer Runde, in ihren Gedächtnissen, in ihren Biografien. Die Autorin Eva-Maria Alves hat das Stück selbst nicht mehr final fertigstellen können, sie ist im vergangenen Herbst gestorben. So war es an der Regisseurin Christiane Ohaus und an der Komponistin Sabine Worthmann, zu Ende zu erfinden, was vielleicht nie war.

Kindheit im Katholizismus: Wie Werner Fritsch die Oberpfalz überlebt hat

Ganz so schalkhaft gibt sich Werner Fritsch nicht in seinem Hörspiel Mixing Memory & Desire. Es ist der erste Teil der dichterischen Autobiografie des 1960 geborenen Schriftstellers, Regisseurs und Filmemachers, der sich selbst einen "Waldbauernbubenkopf" zuschreibt. Also eine Sturschädeligkeit und auch Eigenwilligkeit, die sich aber beide erst herausbilden mussten. In der Tat mussten - Fritsch suggeriert eine Zwangsläufigkeit bei einem, der etwas drin hat in seinem Kopf, das über die geistige Enge seiner Heimat hinausweist.

Aufgewachsen ist Fritsch auf einem Einödhof in der Oberpfalz, der Hendlmühle im Landkreis Tirschenreuth. Oder, weniger in Verwaltungsbezirken gedacht: "Ich komme aus Bayerisch Sibirien" - wo die Winter länger seien, die Sommer kürzer und die Gewitter lauter. Wo vor allem der Katholizismus alle am Wickel hatte und der Bub seine gesamte Kindheit in der Gewissheit verbrachte, dass Gott stets ein Auge auf ihn habe - natürlich, um ihn jederzeit im Falle einer Verfehlung bestrafen zu können. Tatsächlich erfüllte diese Aufgabe Schwester Consulata in dem Internat, das Fritsch besuchte.

Von groteskem, mitleiderregendem Witz sind die Allmachtsfantasien, die der Heranwachsende entwickelt. Ein Superheld ist Werner Fritsch freilich nicht geworden, aber ein sprach- und denkmächtiger Mensch, den zu brechen trotz härtester Anstrengungen nicht gelungen ist. Fritsch selbst hat Mixing Memory & Desire inszeniert, mit Hilfe eines famosen Ensembles: Ilse Ritter und Angela Winkler spielen mit, Sylvester Groth und Nuri Singer, die Musik hat Werner Cee komponiert.

Ein guter Ruf und ein geschätztes Lebenswerk, diskreditiert in wenigen Monaten

Eine dritte Hörspiel-Ursendung in dieser Woche zieht ebenfalls eine Lebensbilanz: In Wie sich alles verdichtet in Blumen schildern die Autorin Ruth Johanna Benrath sowie die Musikerin und Regisseurin Ulrike Haage mit den Mitteln der Fiktion und doch streng an den Fakten entlang, wie sich das Leben des Malers Max Liebermann gegen Ende fatal zugespitzt hat. Auch hier ist das Sprecherensemble exquisit: Hanns Zischler, Martina Gedeck und Veronika Bachfischer.

Liebermann war einer der angesehensten deutschen Impressionisten, führender Kopf der Berliner Secession, Ehrenbürger Berlins und von 1920 bis 1932 Präsident der Berliner Akademie der Künste, danach Ehrenpräsident - bis zur sogenannten "Machtergreifung" der Nationalsozialisten. Kunst habe weder mit Politik noch mit Abstammung zu tun - da diese seine Position aber nicht mehr geteilt würde, trete er aus der Akademie aus, so Liebermann am 7. Mai 1933. Die Nazis sahen in ihm nicht den Künstler, sondern den Juden.

Ein Haus am Wannsee mit großem Garten war fortan sein eingeschränkter Wirkungskreis, er malte fortan die Blumen darin - "Blumen aus der Neuen Welt!", wie er trotzig seine weltoffene Haltung behauptete. Ein notgedrungener Eskapismus, doch wer genau hinsieht, bemerkt in den späten Gemälden durchaus Kritik und Haltung. Im Februar 1935 ist Liebermann im Alter von 87 Jahren gestorben, das Schicksal seiner Frau blieb ihm erspart - Enteignung, Demütigung und ein qualvoller Suizid im Angesicht der bevorstehenden Deportation nach Auschwitz. Der wild wuchernde Garten der Liebermanns, er war zu klein, um ihnen Schutz zu bieten.

90. Geburtstag , ARD Audiothek

Mixing Memory & Desire , ARD Audiothek

Wie sich alles verdichtet in Blumen , RBB Kultur, 8. Juli, 19 Uhr.

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