Süddeutsche Zeitung

"Hart aber fair" zur Bundestagswahl:Stochern nach Demut

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In Plasbergs Sendung "Hart aber fair" gastiert eine interessante Polterrunde, die die CDU leiden und eine neue politische Ära anbrechen sehen will.

TV-Kritik von Marlene Knobloch

Jede Zeit hat ihre Worte. Einen Augenaufschlag nach der Wahl geistern die "Königsmacher" durch die Republik. Auch in der Sendung "Hart aber fair". Dort sitzen etwa die Grünen-Politikerin Renate Künast und Alexander Graf Lambsdorff von der FDP. Vertreter der beiden Parteien, die es jetzt in der Hand haben, wer der künftige Kanzler wird. Die Runde ringt in der Frage nach der politischen Zukunft (und Gegenwart) aber vor allem um das Wort "Volkspartei". Nach mehr als 24 Stunden der Analysen, des Farbenmischens und der allgemeinen Flaggenkunde hat mancher Lust auf große Worte und wuchtige Thesen. Auf das Ausrufen einer neuen Epoche! Hinfort mit fusselnden Koalitionsdiskussionen. Und lässt's Gott sei Dank mal krachen.

Zuerst knöpft man sich den anwesenden Bundesvorsitzenden der Jungen Union, Tilman Kuban, vor. Der sitzt überraschend gelassen im Halbrund. Er lächelt, zeigt seine Zähne, während Plasberg nach der Demut stochert, die doch in der Lücke zwischen den zwei letzten Bundestagswahlen, zwischen den 33 und 24 Prozent zu finden sein muss. Plasberg probiert es mit der Kretschmer-Watschen, immerhin hatte am selben Tag der sächsische Ministerpräsident und CDU-Parteifreund von einem "Erdbeben" gesprochen, während Laschet seither besänftigt, das sei nur die U-Bahn.

Der Moderator fischt aus Kubans Kopf endlich den Satz "Wir haben die Wahl verloren. Punkt." heraus und die etwas vernuschelte Bestätigung, dass auch Kuban keinen Wolfgang Schäuble gesehen hat, der Armin Laschet verteidigt, gratuliert oder die verspannten Schultern massiert. Etwa fünf Mal an diesem Abend sagt er, dass der Ball gerade im Spielfeld der SPD liege. Aber er sagt es mit hörbarem Vertrauen in die Geometrie, nach der Bälle bekanntlich rollen können.

Das härtere Besteck packt die Zeit-Journalistin Mariam Lau aus, die von der CDU als eine "ausgeblutete und leere Partei" spricht, während Irokesen-Blogger Sascha Lobo mit Superlativen hämmert und der Union eine "krachenstmöglichste Scheitersituation", eine "Zehn von zehn"-Niederlage attestiert.

Kuban schnappt zurück

Kuban schnappt zurück, beißt Richtung Renate Künast und ihrer Idee von Rot-Rot-Grün, wo die Linke doch keine demokratische Partei sei. Künast, sowieso in blendender Laune, schlägt ihm vor, er könne ja versuchen, sie zu verbieten, dann würde er halt noch mal verlieren. Die Demut, wenn nicht von Kuban, liegt später in Form eines Tweets der rheinland-pfälzischen CDU-Landtagsabgeordneten Ellen Demuth (ja, echt) vor, die den Rücktritt Armin Laschets fordert.

Spätestens jetzt ändert sich die Studiotemperatur. Dieses Gefühl kommt auf, dass solche Nächte wie keine anderen sind. Man entkorkt die "Nur für besondere Anlässe"-Thesen. Die Journalistin Mariam Lau fragt, ob die CDU jetzt zerbrösle. Lobo ruft die neue Ära aus, "mit dieser Bundestagswahl hat politisch das 21. Jahrhundert erst angefangen". Plasberg mutmaßt, dass Robert Habeck Vizekanzler wird, worauf Renate Künast antwortet: "Davon weiß ich nichts." Die Studiowand weiß mehr. Da stehen rot leuchtend Habeck, Lindner und Scholz beisammen. Aber es heißt ja Königsmacher, nicht Königsmacherinnen.

Plasberg packt schließlich alte Geschichten aus und klatscht sie dem SPD-Politiker Kevin Kühnert auf den Tisch. Der hatte über seinen möglichen künftigen Koalitionspartner gelästert, Lindner habe "kein seriöses Finanzkonzept", dafür "eine windige Grundlage" und sei sowieso ein "Luftikus". Kühnert windet sich mit einer präzisen Erklärung raus, jetzt sei - entgegen der Wahlkampfwochen - die Zeit, nicht die Differenzen, sondern die Gemeinsamkeiten zu finden. "Luftikus" gehöre eh zur putzigen Kategorie der Beleidigungen.

Der FDP-Politiker Lambsdorff lächelt ihm zu. In der Abendmilde wischt er das Geschwätz von gestern beiseite. Zwar zeigt die anschließende Diskussion über die Vermögensteuer, dass keine der Parteien ihre roten Linien in Pastellfarben zieht, aber auch das trübt die Aufbruchstimmung der potenziellen Ampelkoalition wenig. Vermögensteuer, Spitzensteuersatz, Digitalisierung - jede Zeit hat ihre Worte. Letzte Woche Luftikus, heute Königsmacher.

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