Süddeutsche Zeitung

Eurovision Song Contest:Was für eine Show

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Die ARD kürt Xavier Naidoo in einer ziemlich einsamen Entscheidung zum deutschen Vertreter in Stockholm und nennt ihn folgerichtig schon mal den "Messias von Mannheim".

Von Hans Hoff

Nun soll es also ein Sohn Mannheims richten. Xavier Naidoo ist ausersehen, am 14. Mai 2016 beim Eurovision Song Contest (ESC) in Stockholm zu zeigen, was Deutschland musikalisch so drauf hat. Darauf hat sich der NDR mit dem Künstler und mit sich höchstselbst geeinigt und hofft nun, dass es in Stockholm beim ESC-Finale wieder ein bisschen besser läuft als in den vergangenen Jahren. Die Chancen stehen schon deshalb gut, weil Vorjahresteilnehmerin Ann Sophie vom Finale in Wien mit exakt null Punkten heimkehrte.

Man sagt sicher nichts Falsches, wenn man feststellt, dass das deutsche Engagement beim ESC eher glücklos verlief, seit Stefan Raab sich aus dem Verfahren verabschiedet hat. Raab war nicht nur selbst als Komponist und Interpret erfolgreich gewesen, er hatte 2010 auch Lena zum Sieg in Oslo geführt, der Raab-Maßstab ist also das, woran es sich zu messen gilt. Auch deshalb, weil der Mann vom Privatfernsehen die ARD einst aus dem tiefen Tal der Niederlagen geholt hat, als das nationale Interesse am ESC ungefähr der Faszination von Fußpilz entsprach.

Paradoxerweise ist es aber so: Gerade wer an Raab denkt, dem wird die einsame, undemokratisch anmutende Nominierung von Naidoo bekannt vorkommen. Denn schon Raab war daran beteiligt gewesen, Volkes Stimme - die er zuvor zu seinem Verbündeten machte und auf dem Prinzip der Mitsprache viele bunte Vorentscheids-Shows bei Pro Sieben und der ARD aufbaute - wieder auszublenden. 2011 hat er nach dem Sieg in Oslo seinen Schützling Lena schlicht und einfach zur Titelverteidigung in Düsseldorf angemeldet. Mitbewerber unerwünscht. Immerhin schaffte es Lena auf Platz zehn.

Für eine Weile war die ARD fast so beweglich und jung wie Pro Sieben. Lange her

Das sollte man im Hinterkopf haben, wenn man sich dieser Tage über die Naidoo-Nominierung echauffieren möchte. Wer jemals dachte, das Publikum sei beim ESC-Verfahren maßgeblich beteiligt und nicht nur Stimmvieh am Telefon, der lebte schon immer im Irrtum. Man muss aber sagen, dass es ein Irrtum war, von dem die ARD profitierte. Schließlich stand sie auf einmal wohl auch für die eigenen Hierarchen völlig überraschend da als ein Sender, der unheimlich viele Leute für ein Musikprogramm mobilisieren konnte. Für eine Weile war die ARD fast so beweglich und jung wie Pro Sieben. Lange her.

Kaum etwas aber wird häufiger ausgewechselt als die Regeln für den deutschen ESC-Vorentscheid - jetzt wurde eben mal wieder ganz unverbrämt in Hinterzimmern ausgemacht, wer es werden soll. Eine Begründung kommt dann hinterher natürlich auch noch auf den Tisch.

Man habe nach dem Debakel von Wien gewusst, was man nicht mehr haben wolle, ließ Thomas Schreiber nun wissen. "Wir wollten jemanden finden, der sehr gut singen kann, eine authentische Bühnenpräsenz hat und der mit seiner Ausstrahlung die Fernsehzuschauer in Europa verzaubern kann", sagt der ARD-Unterhaltungskoordinator und NDR-Showchef auf der ESC-eigenen Seite eurovision.de, auf der Naidoo kaum ironisch als "Messias von Mannheim" angepriesen wird. Das Entscheider-Wir bezieht sich in diesem Fall auf Schreiber, die Chefin der deutschen Delegation, Carola Conze, weitere Vertreter von NDR und der Rundfunkunion EBU sowie Jörg Grabosch, den zuständigen Produzenten von der fürs nationale Spektakel zuständigen Firma Brainpool.

Diese vom NDR dominierte Troika hat dem Publikum die Wahl abgenommen, bemäntelt aber die einsame Entscheidung immer noch mit etwas Pseudodemokratie. "Wir wollten jemanden, der mit uns auf die Suche geht nach dem stärksten Lied und der besten Inszenierung, denn zuerst einmal ist der Eurovision Song Contest eine Fernsehshow", lässt Schreiber wissen. Nun dürfen die Fernsehzuschauer am 18. Februar in der ARD-Show Unser Song für Xavier aus sechs vorgelegten Liedern eins aussuchen. Mit dem soll Naidoo in Stockholm antreten. "Schon die Tatsache, dass Xavier Naidoo die Zuschauer entscheiden lässt, mit welchem Lied er nach Stockholm fährt, hat Respekt verdient", verkündet Schreiber und macht so deutlich, mit welcher Haltung man dem "Messias von Mannheim" in der ARD begegnet.

Dass Naidoo quasi auf Gutsherrenart erkoren wurde, verwundert trotz allem - wenn man sich daran erinnert, dass ein kommerziell ebenfalls erfolgreicher Künstler wie Unheilig vor zwei Jahren noch in die Qualifikation musste. Dort unterlag er den Newcomern von Elaiza. Die drei Frauen landeten dann im letzten Drittel des Finalfeldes.

Der Gefahr einer Vorentscheidblamage muss sich Naidoo nun nicht aussetzen. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass für die ESC-Verantwortlichen ein lang gehegter Traum in Erfüllung geht. Schließlich wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder mal die Frage gestellt, warum sich denn kein national wirklich erfolgreicher Künstler dem Vorentscheid stellt. Immer wieder lautete die Antwort, dass niemand das Risiko eingehen wolle, öffentlich vom Publikum degradiert zu werden. Der ESC galt Künstlern als heißes Eisen.

Immerhin hat die ARD nicht nur einen richtigen Künstler parat, sondern weiß tatsächlich inzwischen auch um die vier großen Geheimnisse, die hinter einem ESC-Erfolg stecken. Laut Showchef Schreiber braucht es "eine gute Stimme und eine warmherzige Persönlichkeit, einen starken hitverdächtigen Song und eine optische Umsetzung in der Show, an die die Zuschauer sich erinnern, so dass sie anrufen."

So einfach ist das. Da wirkt es doch schwer verblüffend, dass die Showstrategen der ARD das alles erst jetzt herausgefunden haben.

Konnte man ja über die Jahre nicht ahnen, dass man für ein ESC-Finale eine gute Stimme und eine warmherzige Persönlichkeit braucht. Und dann noch einen hitverdächtigen Song. Und sogar eine gute Show.

Immer wieder wunderlich, welche Erkenntnisse dieses Unterhaltungsgewerbe so an den Tag bringt.

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Quelle:
SZ vom 20.11.2015
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