Süddeutsche Zeitung

Medienkolumne "Unser Beitrag":Was ist das Gegenteil von Skandal?

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Die Filmemacherin Elke Lehrenkrauss hat nach dem Skandal um "Lovemobil" eine neue Doku gedreht. Die zeigt, wie begabt sie ist.

Von Susan Vahabzadeh

3 Sat hat in der Reihe "Ab 18!" einen Film von Elke Lehrenkrauss gesendet. Wer war das gleich wieder? Fehler und Irritation, der Titel der Folge, verweist sehr hübsch auf die Vorgeschichte der Regisseurin: Im Frühjahr sorgte Elke Lehrenkrauss mit ihrem ersten Film, der Dokumentation Lovemobil über Prostituierte, die auf Parkplätzen im Wohnwagen arbeiten, für Aufsehen, weil der Film so großartig geworden war - und für noch mehr Aufsehen sorgte dann die Enthüllung, dass sie mehr inszeniert hatte, als man dem Film auf den ersten Blick ansah. Vor allem hatte sie Protagonistinnen ersetzt, die sich nicht filmen lassen wollten, gar durch eine Schauspielerin. Den Auftrag von 3 Sat hatte sie schon, als der Skandal losbrach - und dass sie ihn behalten hat, vielleicht unter ein bisschen mehr Aufsicht als beim letzten Mal, ist richtig.

Inszenierung an sich ist kein Fehler, auch in Fehler und Irritation steht die Kamera an der Stelle, die die beste Einstellung ermöglicht, und wartet nicht darauf, dass sie von der Wirklichkeit überrascht wird, weil die Wirklichkeit wenig Rücksicht nimmt auf ästhetische Erwartungen. Der Gegenstand von Lehrenkrauss' neuem Film, der junge Künstler Ferndinand Dölberg, ist jedenfalls er selbst. Er erkundet beim Malen das Menschsein oder genauer gesagt: Er erkundet beim Leben das Menschsein, und das fließt dann in seine Bilder. Gemälde von in ihre Teile zerlegten und wieder zusammengefügten Körpern. Der Mensch ist eine Maschine, sagt Dölberg, und das System setzt sie ein. Seine Figuren seien "anarchisches Spiel", und ein bisschen so macht er es auch mit sich selbst, mit seinen tomatenrot gelackten Fingernägeln und dem flauschigen Backenbart. Dölberg ist erst 23, es kommt aber jetzt schon ein Sammler und kauft eines seiner Gemälde.

Fehler und Irritation, so ist die Reihe angelegt, ist eine kleine Personenstudie - man kann aber sehen, wie begabt Elke Lehrenkrauss ist: Der Marsch auf dem Mond, den sich Dölberg mit seinem Bruder als Performance ausgedacht hat und mit dem der Film beginnt und endet, ist von traumwandlerischem Zauber, mit weiß gespritzten Lederjacken und Motorradhelmen stapfen die beiden da durch eine verschneite Nacht - ein anarchisches Spiel. Lehrenkrauss weiß ganz genau, wie sie das Faszinierende - nicht unbedingt Schöne, aber Fesselnde - an Menschen in Bilder übersetzt. Ihr einen Fehler zu vergeben, der ihr selbst am meisten geschadet hat, ist das Gegenteil eines Skandals.

Ab 18! Fehler und Irritation, in der ZDF-Mediathek.

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