Süddeutsche Zeitung

"Durch die Nacht mit..." auf Arte:Schizo und Schaumwein

Lesezeit: 2 min

Mutter und Tochter nähern sich an und machen einen drauf - ungefähr so ließe sich das Zusammentreffen von Helene Hegemann und Inga Humpe beschreiben, die für Arte eine Nacht in Berlin verbringen.

Von Christine Dössel

Sie könnten Mutter und Tochter sein - und kämen in dieser Konstellation wohl ganz gut miteinander zurecht: die Musikerin Inga Humpe von dem Popduo 2raumwohnung und die Schriftstellerin Helene Hegemann, die 2010 mit ihrem ersten Roman Axolotl Roadkill und der sich daran entzündenden Plagiatsdebatte schlagartig bekannt wurde. 58 Jahre alt die eine (seit Januar), 22 die andere (seit Februar), zwei Gewächse der unverwüstlichen Berliner Kulturszene, in deren Sumpf- und Sub-Abteilungen sie durchaus nicht unbewandert sind. In dem immer wieder erfreulichen Format Durch die Nacht mit . . . treffen sie aufeinander, durchstreifen das nächtliche Berlin und reden so höflich, offen und selbstkritisch miteinander, wie nur Frauen das tun - und können.

Man sah in dieser oft charakterentlarvenden Reihe schon manche Profilneurotiker (meist männlichen Geschlechts) zum Eitelkeitsparcours antreten und ihre Egoshow abziehen; andere aber auch - wie etwa den österreichischen Regisseur Ulrich Seidl im Gespann mit dem bayerischen Originalgenie Josef Bierbichler - zu extragroßer, tiefschürfender Form auflaufen. Das ist hier anders. Weshalb es sich um keine spektakuläre Ausgabe handelt, keine Aufregernummer. Mehr so der Frauenabend. À la "Mutter und Tochter nähern sich an und machen einen drauf". Aber sympathisch. Mit vielen Reminiszenzen an das gute alte Berlin, diese für Inga Humpe immer noch "sensationelle Stadt", in der sie seit mehr als 35 Jahren lebt und Musik macht.

Gut schreiben und schlau daherreden

Helene Hegemann, Tochter des Theaterdramaturgen Carl Hegemann - und als solche quasi sozialisiert worden an Frank Castorfs Berliner Volksbühne - kann gut schreiben und schlau daherreden. "Dekonstruktion" ist eines ihrer Lieblingswörter. Hegemann war 17, als sie für Axolotl Roadkill erst als literarisches Wunderkind gefeiert, dann als dreiste Abschreiberin der Copy & Paste-Generation gebasht wurde. Inzwischen hat sie einen zweiten Roman veröffentlicht und in Köln eine Oper nach eigenem Libretto inszeniert. Dafür braucht's kein Abi (sie hat, wie sie gesteht, die Schule abgebrochen) und keinen Führerschein (sie ist viermal durch die Prüfung gefallen). Helene Hegemann, die sehr viel raucht, erzählt freimütig von Niederlagen, "kolossaler Unsicherheit" und ihren gelegentlichen "Schizo-Anfällen".

Inga Humpe, diese Nette, einst Sängerin der Achtzigerjahre-Band Neonbabies, ist lange Zeit eher nur die Zuhörerin, Stichwortgeberin: im Auto, in der legendären Paris Bar, im Kunstbunker des Sammlers Christian Boros, in der Volksbühnen-Garderobe von Birgit Minichmayr, wo man hurtig mit der gefeierten Schauspielerin beim Smalltalk über "Authentizität" einen Schaumwein kippt. Auf dem Flur laufen sie dem tollen Martin Wuttke in die Arme, nehmen ihn aber nicht mit. Und sie gehen - schade! - auch nicht in die Volksbühnen-Kantine.

Stattdessen geht's in den Laden der Modedesignerin Claudia Skoda, wo man fotoalbennostalgisch auf das Berlin der Siebziger und Achtziger zurückblickt. Da kommt endlich Humpe zum Zug. Gegessen wird im "Themroc" in der Torstraße, auf der sie Friedrich Liechtenstein mit einer Liedperformance überrascht - das ist der jüngst durch seinen Edeka-Werbesong bekannt gewordene "Supergeil"-Entertainer. Super-Einlage in einer insgesamt doch recht braven Nacht.

Durch die Nacht mit . . . Arte, Sonntag, 23.15 Uhr

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SZ vom 01.03.2014
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