Doku über den Kalten Krieg:Der Mann, der nichts tat und die Welt rettete
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Sowjet-Offizier Stanislaw Petrow verhinderte 1983 einen Atomkrieg. Die Doku über ihn ist allerdings mehr an Hollywood-Pathos als an Lehren aus der Geschichte interessiert.
Von Anja Perkuhn
Nachdem die beiden auf Bilder von Osama bin Laden geschossen haben, fahren sie zu einer Art Raketenfriedhof: Eine alte Minuteman-II, eine Interkontinentalrakete, steht in einer tristen Landschaft in South Dakota, USA. Der alte Mann, Stanislaw Petrow, betrachtet sie: "Sie ist schön", sagt er. "Wie eine Frau mit enger Taille." Dann kommt der ehemalige Sowjet-Offizier mit einem rotbärtigen Kerl mit Stetson ins Gespräch - darüber, was geschehen wäre, wären diese Raketen abgeschossen worden während des Kalten Kriegs. Natürlich nur als Reaktion auf einen atomaren Erstschlag der Sowjetunion, sagt der Bärtige.
"Hirnloses Schaf!", schimpft Petrow. Weil seiner Ansicht nach die Sowjetunion genau so dachte. "Wir haben doch genau dasselbe gemacht!", ruft er. "Wir haben auch nur Waffen entwickelt, um uns zu verteidigen!" Das war sein Auftrag im Kalten Krieg: mit einem Gegenschlag reagieren, wenn Raketen aus den USA auf die Sowjetunion fallen. Das hat er nicht getan am 26. September 1983. Deshalb gab es keinen Dritten Weltkrieg. Und deshalb ist er hier, in den USA, mit einer Dolmetscherin: Menschen wollen ihm dafür danken und er soll davon erzählen.
Es ist eine merkwürdig klinische Szene. "Es ist an der Zeit, den Kalten Krieg zu vergessen", sagt der Russe. "Ich weiß nicht, ob das geht", sagt der Amerikaner. "Wir wollen in Frieden leben. Ohne Angst, dass die Welt augenblicklich zerstört werden könnte", sagt der Russe. Der Amerikaner legt ihm die Hand auf die Schulter. "Ich bin froh, dass Sie herkommen konnten."
Die Dokumentation The Man Who Saved The World ( Der Mann, der die Welt rettete) will einem Petrow nahebringen. Er hat als junger sowjetischer Oberst die Entscheidung getroffen, die einen Atomkrieg verhinderte. Besser gesagt: eine Nicht-Entscheidung.
Bei dieser Nicht-Entscheidung geht es um knapp 15 Minuten am 26. September 1983, in denen die Warnsysteme meldeten, dass fünf amerikanische nukleare Fernlenkgeschosse gegen Russland abgefeuert worden seien. Laut Protokoll hätte Petrow den Gegenschlag befehlen müssen. 11 000 nukleare Sprengköpfe wären eingesetzt worden, erzählt der Russe im Film, der Dritte Weltkrieg hätte begonnen. Der junge Mann folgte damals aber seiner Intuition - eine tatsächliche Attacke der USA, dachte er, würde doch mit mehr als fünf Raketen beginnen. Er meldete diesen Angriff nicht zurück.
Später stellte sich heraus, dass es sich um einen Fehlalarm gehandelt hatte - den Grund dafür fand man nie.
"Hätte schwere Schuld auf mich geladen"
"Ich wollte absolut nicht der Auslöser für den Dritten Weltkrieg sein", sagt Petrow in The Man Who Saved The World. In diesen Minuten sei ihm bewusst gewesen: "Sollten die Amerikaner tatsächlich mein Land angreifen, dann habe ich schwere Schuld auf mich geladen. Aber ich wollte meine Meinung nicht mehr ändern."
Er ist ein Mensch, dessen Handeln ein wichtiger Teil ist im Puzzle des Kalten Krieges und der Menschheit. Und es ist eine wichtige Botschaft, die Petrow und die Doku verbreiten wollen: Ein Atomkrieg würde uns allen schaden - egal, ob die Bombe in Nordkorea oder Iran, den USA oder Russland gebaut oder eingesetzt wird. "Bei einem weltweiten Atomkrieg gibt es keine Sieger", sagt Petrow einmal. "Wir müssen lernen, miteinander zu leben wie Brüder - sonst werden wir untergehen wie die Dinosaurier."
Doku, Porträt, Dokutainment - was denn nun?
Wer allerdings diese Botschaft in den vergangenen 50 Jahren noch nicht verstanden hat, der ist entweder ein Ignorant oder ein Katastrophenbeschwörer. Abseits davon fühlt sich das Werk von Regisseur Peter Anthony aus Dänemark an wie eine Mischung aus pathetischem Docutainment und Entwicklungsgeschichte. Man muss Anthony wohl dafür danken, dass er die Geschichte zumindest nicht mit Ben Affleck in der Hauptrolle verfilmt hat, sondern Petrow der echte Petrow ist. So bleibt wenigstens eine Spur von Authentizität.
Allerdings nur eine kleine. Anstatt Petrow oder andere Zeitzeugen, Dokumente und Berichte die Geschehnisse von 1983 als wirkliche Dokumentation erzählen zu lassen, zeichnet The Man Who Saved The World die persönliche Entwicklung von Petrow nach - wobei nicht klar wird, wie real diese ist.
Man lernt Petrow kennen als alten, gebrochenen Mann mit einem Frühstücksbier in der Hand in seiner Wohnung in einem Moskauer Vorort. Seine Frau ist jung gestorben, erfährt man. Er macht sich dann auf zu einer Reise mit der jungen Dolmetscherin Galina in die USA, um vor den Vereinten Nationen zu sprechen. Taut etwas auf, findet in Galina endlich eine naiv-dankbare Zuhörerin, die offenbar noch nie über den Kalten Krieg nachgedacht hat.
Petrow trifft in den USA seinen "Helden", den Schauspieler Kevin Costner. Der nennt wiederum Petrow einen Helden und diskutiert mit ihm über das zerrüttete Verhältnis zwischen Russland und den USA. Galina wirft Petrow später überraschend analytisch scharf vor, dass er über Frieden und Bruderliebe dozierte, aber seit Jahrzehnten nicht mit seiner Mutter gesprochen habe. Er kehrt zurück nach Russland. Sein Bruder stirbt - und endlich besucht Petrow seine Mutter. Die beiden vergeben einander.
Dazwischen gibt es Rückblenden in den September 1983, nachgestellt mit Schauspielern, knisterndes, körniges Filmmaterial von Bomben und Raketen, diverse Sequenzen der Anschläge auf das World Trade Center am 11. September 2001 und ein paar merkwürdige Cameos: Robert De Niro taucht zum Gratulieren auf, Matt Damon steht daneben, aber der Russe kennt ihn nicht, und Ashton Kutcher erklärt in Hollywood-Manier: "Ich wollte mich bei Ihnen bedanken. Danke, dass Sie mit dem Herzen gedacht haben."
An rührigen Szenen mangelt es der Doku nicht. Doch eine wirkliche Lehre nimmt der Zuschauer nicht mit. Zu gerne hätte man vom Mann, der einst die Welt rettete, gewusst, was er über heutige Drohnenkriege denkt. Doch Petrow ist zu sehr mit Händeschütteln beschäftigt.
The Man Who Saved the World, Arte, 22.50 Uhr