Süddeutsche Zeitung

Streamingdienste:Jeder gegen jeden

Lesezeit: 4 min

Die großen Filmstudios setzen auf eigene Streamingportale. Das wird zum Problem für Publikum, Filmschaffende und Netflix.

Von Nicolas Freund

Der Kampf wird härter: Selbst Disney setzt jetzt auf Zombies. Bei dem Streamingdienst des Micky-Maus-Konzerns soll es bald auch mehr Serien und Filme für Erwachsene geben, darunter das erfolgreiche Horrordrama The Walking Dead.

Dafür hat Disney+ gerade einen eigenen Kanal eingerichtet, der heißt Stars und dort gibt es alles zu sehen, was nicht zu Disney, Pixar, Marvel, "Star Wars" oder National Geographic passt, den anderen großen Marken des Konzerns. Und das sind nicht nur Zombies: Musicals, Actionfilme, Komödien, Serienklassiker wie Akte X, Grey's Anatomy oder Buffy. Disney+, ein Streamingdienst, der bislang vor allem auf Trickfilme und Superhelden spezialisiert war, wird damit zu einer noch größeren Konkurrenz für alle anderen Anbieter. Besonders für Netflix, wo man schon immer auf ein breites Portfolio der Inhalte setzte.

Warum das ein Problem ist? Disney besitzt im Gegensatz zu Netflix bereits die Rechte an diesen Inhalten, denn zu dem Konzern gehören nicht nur Zeichentrick- und Superheldenstudios, sondern zum Beispiel auch die 20th Century Studios, die unter verschiedenen Namen seit fast 100 Jahren Filme und Serien produzieren. Entsprechend groß ist der Fundus, auf den man zurückgreifen kann. Hunderte Titel hat Disney schon angekündigt, die nach und nach auf Stars verfügbar werden sollen, darunter viele Filme und Serien wie eben The Walking Dead, die noch bei anderen Streamingdiensten zu sehen sind.

Klar, warum sollte Disney die Konkurrenz mit Inhalten füttern, die man auch selbst vermarkten kann? Vermutlich werden manche Filme und Serien noch lange bei anderen Anbietern zu sehen sein, da für verschiedene Formate, Länder und Dienste verschiedene Lizenzvereinbarungen gelten. Mittelfristig wird Disney aber versuchen, alle Inhalte, zu denen bei dem Konzern die Rechte liegen, auch beim hauseigenen Streamingdienst zu bunkern. Und das wird dann zu einem Problem vor allem für Netflix, weil Disney nicht nur als Konkurrent auftritt, sondern den anderen Plattformen auch Inhalte entziehen könnte.

Dazu kommt, dass nicht nur Disney solche Pläne hat. Auch das Studio Paramount, das unter anderem "Star Trek", "Transformers" und "Indiana Jones" im Programm hat, startet in den USA gerade einen eigenen Streamingdienst, der dort CBS All Access ersetzt und der im Laufe des Jahres auch in Deutschland verfügbar sein soll. Was in den USA bei CBS läuft, wird in Deutschland derzeit vor allem zwischen Amazon Prime Video und Netflix aufgeteilt. Wie auch bei Disney gilt: Diese Inhalte werden in Zukunft bei den anderen Streamingdiensten fehlen.

Für Amazon Prime Video ist das noch ein etwas geringeres Problem. Die Plattform hat keine Hemmungen, auch den größten Schrott ins Programm zu hieven, um die Mediathek möglichst voll erscheinen zu lassen. Dazu ist das Geschäftsmodell ein ganz anderes als etwa bei Netflix: Prime Video ergänzt die Amazon-Warenwelt, es ist eine Art Bonus zum Prime-Abo, mit dem der Kunde dann vor allem Sachen über Amazon bestellen soll. Die selbstproduzierten Inhalte greifen häufig auf Buchserien und andere Vorlagen zurück, die dann natürlich auch gleich über Amazon bestellt werden können. Praktisch, wenn man Inhalte gleich mehrfach verkaufen kann.

Mehr als zwei oder drei Abos werden sich die wenigsten Zuschauer leisten wollen

Ähnlich funktioniert Apple TV+, das es als Bonus zu der Hardware gibt, die Apple in erster Linie verkauft, oder als eine Art Anzahlung auf andere Käufe bei iTunes. In diesen breiten Geschäftsmodellen von Apple und Amazon stützen die Angebote der Konzerne einander gegenseitig. Netflix hat aber kein angeschlossenes Kaufhaus, stellt keine Smartphones her und hat auch kein Hollywoodstudio mit 100 Jahren Filmgeschichte im Rücken. Netflix hat natürlich bereits jetzt jede Menge Eigenproduktionen. Aber wenn die Konkurrenz mit eigenen Streamingdiensten ernst macht, muss Netflix in den nächsten Jahren noch deutlich mehr eigene Inhalte produzieren, um die Abonnenten zu halten. Das ist aber teuer, und wenn Netflix die Preise erhöht, riskieren sie auch, Abonnenten zu verlieren. Eine Zwickmühle.

Dazwischen steht der Zuschauer, für den die neue Runde im Kampf der Streamingdienste eine zweischneidige Sache ist: Bisher hat dieser Konkurrenzkampf zu einer nie dagewesenen Produktion von Filmen und Serien geführt, da alle Anbieter natürlich ein möglichst exklusives Angebot brauchen. Gleichzeitig steigen die Kosten für den Zuschauer, und gerade in Deutschland ist durch den verpflichtenden Rundfunkbeitrag die Bereitschaft, für Fernsehinhalte noch mehr Geld zu bezahlen, lange nicht so ausgeprägt wie in den USA. Mehr als zwei oder drei Abos werden sich die wenigsten Zuschauer leisten wollen, schon alleine, weil irgendwann auch die Zeit fehlt, das alles anzuschauen.

Wenn nun mehr und mehr Dienste auf den Markt drängen, bedeutet das zunächst eine kulturelle Fragmentierung: Die eine Serie, auf die sich fast alle einigen können, wie zuletzt Game of Thrones, wird immer schwieriger zu produzieren. Manche, sehr gute Serien werden schon jetzt nur bei kleinen Streamingdiensten von einem handverlesenen Publikum gesehen. Das ist gut für die Plattformen, aber schade für die Filmemacher und für die Zuschauer, die diesen einen Dienst nun gerade nicht abonniert haben.

Es bleibt nur, so schnell wie möglich 100 Jahre Filmgeschichte aufzuholen

Auch der Druck auf die Formate, möglichst günstig und zugleich möglichst spektakulär zu sein, wird noch größer werden. Schon jetzt hört man von Filmemachern, die Zeiten, in denen die neuen Streamingdienste ihnen in kreativer Hinsicht völlig freie Hand ließen, seien längst vorbei. Was jetzt produziert wird, muss unbedingt liefern, also Quote machen, wie man früher sagte. Da kommt den Studios wieder ihr Backkatalog zugute: Diese Inhalte kosten sie wenig bis nichts, außerdem lieben die Zuschauer viele der alten Filme und Serien. Sie wissen, was sie bekommen, wenn sie Disney oder Paramount abonnieren.

Es ist eine paradoxe Situation: Netflix hat den Streamingdienst, wie er nun dutzendfach imitiert wird, in dieser Form erfunden und perfektioniert. Aber es ist unklar, ob das Unternehmen mit der Macht der großen Studios mithalten kann. Es bleibt nur, so schnell wie möglich 100 Jahre Filmgeschichte aufzuholen. Oder sich wieder neu zu erfinden.

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