Süddeutsche Zeitung

Sexismus im Sport:"Seine Kumpels lachen ihn schon vier Wochen vorher aus"

Lesezeit: 3 min

Ein Darts-Spieler muss gegen eine Frau antreten und ein TV-Experte blökt sexistischen Sondermüll. Überrascht niemanden? Natürlich nicht. Schließlich leiden große Teile des Sports unter struktureller Frauenverachtung.

Kommentar von Jakob Biazza

Geschwind an Claudia Neumann erinnert - vor ein paar Monaten von Sportfans als "Donnerfotze" beleidigt. Fußballkommentatorin beim ZDF. Erste Frau, die ein EM-Spiel kommentiert hat. 2016 war das. Resultat damals: ein beängstigender, sexistischer Shitstorm, groß genug, damit das ZDF zwei Jahre später präventiv tätig wurde, als Neumann zur WM wieder kommentierte (und dabei ein paar gröbere inhaltliche Fehler machte): Man verstärkte das Social-Media-Team. Besonders beleidigende Kommentare wurden gelöscht. Dieser blieb übrig: "Jawoll, Donnerfotze Claudia Neumann versaut mir jetzt auch noch das Kolumbien Spiel."

Man konnte damals leicht hochrechnen, was da alles gepostet und gelöscht worden war, wenn das ZDF-Team Sätze wie diesen hatte stehen lassen.

Und wenn man das hochgerechnet hatte, konnte man sich wundern. Die Welt hatte an diesem Punkt unter dem Hashtag #MeToo schließlich schon ein Dreivierteljahr über Sexismus, sexuelle Gewalt und veraltete Geschlechterrollen diskutiert. Der Filmproduzent Harvey Weinstein war gestürzt, der Schauspieler Kevin Spacey aus einem Film getilgt. Sogar der Literaturnobelpreis war an einem großen Missbrauchs- und Korruptionsskandal zugrunde gegangen.

Man hätte meinen können, es hätte sich etwas verschoben in der Gesellschaft. Womöglich sogar zum Guten. Aber dann hätte man den Sport unterschätzt.

Der Sport, ebenso wie die Berichterstattung über ihn, hat ein strukturelles Sexismusproblem. Das ist zunächst ein Pauschalurteil, und wie jedes Pauschalurteil hält auch dieses der Einzelfallprüfung sicher nicht stand. Aber jeder kann ja den Schnelltest bei sich selbst machen: Da spielt die Russin Anastassija Dobromyslowa bei der Darts-WM also gegen den Briten Ryan Joyce. Eine klare Angelegenheit. Dobromyslowas "Average", der Punktedurchschnitt, den sie mit drei Würfen schafft, liegt deutlich unter dem von Joyce. Was man selbstverständlich so sagen darf. Was der TV-Experte bei Sport 1 auf die Frage, mit welchen Mitteln Dobromyslowa Joyce schlagen kann, stattdessen sagt:

"Vielleicht die Klamottenwahl."

Es ist müßig zu diskutieren, ob das sexistischer Sondermüll aus den schlimmeren Ecken der Fünfzigerjahre ist (aber zur Sicherheit: ja!). Die Schnelltest-Frage hier lautet stattdessen: Überrascht es jemanden, dass Gordon Shumway, der sich nach der Fernsehfigur Alf benannt hat, so spricht? Dass ein Experte also auf eine absolut professionelle Frage zum Duell einer technisch unterlegenen Frau mit einem Mann einen vermeintlichen Witz aus der Ursuppe der Frauenverachtung hervortaucht? Und damit aus einer Machtposition heraus nach unten tritt?

Oder ist da zumindest auch ein kurzer Moment des Schulterzuckens? Ein Hauch von: Darts eben. Männerdomäne. Man wird doch wohl noch. Boys will be boys. Es würde nicht wundern.

Ein Blick auf die Bilder, die Codes, die Sprache, die der professionelle Sport produziert, und die ihn und seine Fans dann prägen, ernüchtern schließlich umfassend. Man findet sie während der Fußball-WM 2018: Philipp Lahm überreicht den Pokal, das russische Modell Natalia Vodianova ist ihm zur Seite gestellt - goldenes Mini-Kleid, goldene Uhr, Diamantarmband. Vodianova glitzert sehr. Fast mehr als der Preis. Lahm trägt einen dunklen Anzug. Er glitzert nicht. Subtext: Bei großen Sportpreisen sind Frauen schmückendes Beiwerk. Staffage. Accessoire.

Man findet sie während eines Rugby-Turniers in München, Olympiastadion. Die wichtigsten Nationalteams der Welt spielen. Auch Frauenmannschaften. Punkten die Männer, ertönen AC/DC, Scorpions und mehr auftrainierter Breitbein-Rock. Punkten die Frauen, spielt der DJ Lucilectric ("Mädchen"), Cyndi Lauper ("Girls Just Wanna Have Fun") und andere Glitzerpop-Verniedlichungen. Subtext: Süß, dass ihr euch jetzt auch an Männersport versucht.

Man findet sie in Los Angeles (und jeder anderen US-Stadt mit NBA- oder College-Basketball-Team), wenn die "Lakers Girls" während des Spiels hauptsächlich viel winken dürfen und in der Halbzeitpause in kurzen Röcken tanzen. Subtext: Nach dem leckeren Pausenfüller kommt wieder Sport.

Und jetzt hat man sie eben wieder mal im deutschen Fernsehen gefunden: "Ich bin kein Freund von diesem Zirkus. Ich weiß nicht, was das soll - zwei Damen bei einem professionellen Darts-Turnier mit aufzunehmen", blökte der Alf-Fan Shumway noch. Und: "Wenn man den Damen eine Plattform geben möchte, kann man das anderweitig tun."

"Seine Kumpels lachen ihn schon vier Wochen vorher aus"

Auf weiteren, vergleichbaren Unfug folgte eine sogenannte Entschuldigung: "Ich möchte mich mal ganz, ganz herzlich bei den Mädels und den Damen im Darts-Sport natürlich entschuldigen, wenn ich mich da missverständlich ausgedrückt habe. Ich habe überhaupt nichts gegen Frauen im Dart oder Frauen bei dieser WM." Subtext: Es sei denn, sie spielen gegen Männer. Da gilt für Shumway: "Seine Kumpels lachen ihn schon vier Wochen vorher aus. Du musst gegen die Frau spielen."

Man kann nun natürlich Konsequenzen gegen den Experten fordern. Es wäre nicht übertrieben, ihn bei Sport 1 nicht mehr einzuladen. Aber das reicht nicht. Es werden immer weiter Shumways heranwachsen, und mehr Menschen, die Kommentatorinnen als "Donnerfotze" verunglimpfen, wenn die Verantwortlichen, die Teams und ja, auch die Fans im Sport nicht endlich anfangen, Bilder, Codes und Sprache zu verändern. Grundlegend. Und offensiv.

Die Dartspielerin Anastassija Dobromyslowa hat, wie viele ihrer Kollegen, einen Spitznamen. Er lautet: "From Russia With Love". Welch Überraschung.

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