Süddeutsche Zeitung

"Anne Will" zu Corona-Maßnahmen:Team Vorsicht gegen Team Öffnung: unentschieden

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Große Leichtigkeit oder großer Leichtsinn - die Politiker sind sich bei Anne Will wie immer uneinig. Dabei gibt es aber auch überraschende Koalitionen.

Von Peter Fahrenholz, München

In Talkrunden zum Thema Corona gibt es seit Monaten mehr oder minder das gleiche Setting: Bei den eingeladenen Politikern tritt meistens das Team Vorsicht gegen das Team Öffnung an (das Markus Söder im Grunde seines Herzens vermutlich für das Team Leichtsinn hält), die medizinischen oder virologischen Experten platzieren - von wenigen Ausnahmen abgesehen - ziemlich ähnliche Warnungen (erst mal müssen die Zahlen runter und Vorsicht vor den gefährlichen Mutanten). Und die anderen Gäste, je nachdem aus welchem Bereich sie kommen, beklagen meist die Mängel oder Ungereimtheiten des politischen Pandemiemanagements, von denen es ja eine Menge gibt.

Auch die jüngste Runde bei Anne Will am Sonntagabend macht da keine große Ausnahme. Es geht um die Frage, ob angesichts der sinkenden Infektionszahlen jetzt die große Leichtigkeit oder doch eher der große Leichtsinn ausbricht, weil sich jetzt die Länder gegenseitig mit ihren Öffnungsschritten überbieten. Pünktlich zur Sendung hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vor einem solchen Wettbewerb gewarnt. Nach mehreren Wortmeldungen ihrer Gäste konstatiert die Moderatorin Anne Will, dass Spahns Appell erwartungsgemäß wirkungslos bleibt: "Das Rennen ist eröffnet".

Das Team Vorsicht wird von Hamburgs Erstem Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) vertreten, der während der gesamten Pandemiezeit immer am selben Strang wie die Kanzlerin und Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder gezogen hat, ohne sich allerdings so in Pose zu werfen wie dieser. Auch bei Anne Will plädiert Tschentscher nüchtern-hanseatisch für eine Strategie der vorsichtigen Schritte. Sein Hauptgegner vom Team Öffnung ist zwar auch Norddeutscher, aber für Nüchternheit eher nicht bekannt. Aber der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki unterdrückt seine Neigung zu gelegentlich ins Prollige changierenden Auftritten, was die Auseinandersetzung jetzt nicht so süffig macht, als wäre beispielsweise Markus Söder aus Bayern zugeschaltet worden.

Kubicki und Tschentscher sind sich erwartungsgemäß uneinig darüber, ob die vom Bund verfügten Ausgangssperren nun etwas gebracht haben oder nicht, und weil sich Tschentscher offenbar nur schwer aus der Ruhe bringen lässt, kontert er Kubickis Vorwurf, Hamburg verhalte sich mit seiner restriktiven Linie rechtswidrig, mit der milden Replik, man verhalte sich ganz im Gegenteil sehr verantwortungsbewusst. Der dritte Norddeutsche in der Runde, Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch, bringt die politische Farbenlehre überraschend etwas durcheinander, denn er hält es eher mit Kubicki. Als Bartsch sagt, niemand in Deutschland sei doch für Leichtsinn im Umgang mit Corona "auch nicht Herr Kubicki", ist für den Liberalen auch ein Linker ausnahmsweise mal ein willkommener Kronzeuge: "Wenn das schon Herr Bartsch sagt."

Unterwartet munter wird es am Schluss

Die beiden anderen Gäste spielen ihren vorhersehbaren Part. Die Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga, Ingrid Hartges, vertritt mit Verve die Interessen ihrer Branche und wirbt energisch für flächendeckende Öffnungen jetzt sofort. Genau davor warnt die Intensivmedizinerin Carola Holzner genauso energisch, auch auf die Verheißungen eines unbeschwerten Urlaubssommers möchte sie sich nicht einlassen. "Ich bleibe mit meinem Hintern zu Hause." Und so plätschert die Debatte, wie viel Öffnung denn nun vertretbar ist, eher etwas müde dahin. Die einen sagen so, die anderen sagen so.

Unerwartet munter wird es am Schluss, als es ums Thema Impfen geht. Bartsch schlägt sich in dieser Frage ganz eindeutig auf die Seite derjenigen, die die Impfpriorisierung sofort aufheben wollen und ist damit plötzlich ganz nahe bei Markus Söder (noch eine unerwartete Koalition). Er gerät dabei für norddeutsche Temperamentsverhältnisse heftig mit Tschentscher aneinander, der den Vorwurf, in Hamburg blieben Impfdosen liegen, heftig zurückweist ("Da verfällt gar nix"). Auch Kubicki fährt noch mal kurz die Pranke aus und diagnostiziert beim Thema Impfen "einen Super-GAU in der Kommunikation, wie immer bei dieser Bundesregierung". Auch diese Schlussoffensive kann aber nichts daran ändern, dass es zwischen dem Team Vorsicht und dem Team Öffnung, was die Argumente anlangt, unentschieden ausgeht.

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