Süddeutsche Zeitung

China:Ende der Geschichte

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Eine Gruppe von Veteranen der KP wollte mit einer Zeitschrift die Demokratie in China retten. Nun ist das Projekt gescheitert - die KP hat zurückgeschlagen.

Von Kai Strittmatter

Vielleicht muss man es sich ein wenig so vorstellen wie in dem beliebten Filmgenre "Rentner retten die Welt": Eine Gruppe aufs Abstellgleis geschobener Alter tut sich zusammen, um die Zerstörung ihres Lebenswerks zu verhindern. In dem Fall ging es den Alten um die Rettung ihrer Partei, immerhin der größten der Welt. Letztlich um die Rettung ihres Landes, China. Du Daozheng, bis heute der Anführer der Gang, war vor 25 Jahren, als alles begann, auch schon Ende 60. "Wir waren eine Gruppe alter Leute, die viel erlebt hatten", erinnerte er sich einmal in einem Interview. "Wir hatten gewonnen und wir hatten verloren. Wir hatten gelitten und wir hatten anderen Leid zugefügt." Nun wollten sie es noch einmal wissen.

Es war das Jahr 1991, das Massaker vom Platz des Himmlischen Friedens lag zwei Jahre zurück. In der Folge hatte Du seinen Posten verloren: Er war Direktor von Chinas Pressebehörde gewesen. Nun erlebte China wieder bleierne Jahre. "Die offiziellen Zeitungen waren voller Lügen und hohlem Gerede", erinnerte sich Du. Er und seine Kumpane waren Kommunisten der ersten Stunde, viele als Idealisten in den 1930er- und 1940er-Jahren der KP beigetreten, als die Partei auch Demokraten anzog. Sie beschlossen also 1991, ein Magazin zu gründen und tauften es Yanhuang Chunqiu, was man mit "Die Annalen Chinas" übersetzen kann. Die Zeitschrift sollte der Wahrheit verpflichtet sein. Der Reform. Und ja, auch der Demokratie, der innerparteilichen zunächst. Geld hatten sie nicht, aber einige mächtige Freunde und Helfer. Ein General brachte der armselig ausgestatteten Redaktion hundert Gramm Teeblätter vorbei.

Die Wahrheit furchtlos aufschreiben, und die Geschichte als Spiegel nehmen", war das Motto der Zeitschrift

Xi Jinping, Partei- und Staatschef seit 2012, ist ebenfalls zur Rettung der Partei angetreten ist. Er aber findet, dazu brauche es keinesfalls Meinungsvielfalt oder Demokratie. Du Daozheng ist nun 92, und es sieht so aus, als verhagle dieser Parteichef seiner Geschichte gerade ihr Happy End. Am 17. Juli verkündete Gründer und Verleger Du Daozheng das Ende seiner Zeitschrift, und noch die Art, wie er das tat, aus dem Krankenhaus heraus unter Umgehung der offiziellen Kanäle, war ein kleiner Akt der Rebellion.

"Lieber ein zerbrochenes Jadestück sein als ein vollkommener Ziegel", schrieb Du in der Erklärung. Lieber tot als geschändet. Vorangegangen war in den letzten Jahren ein dramatisches Ringen zwischen Zensoren und Redaktion. Am Ende kam es zur physischen Besetzung der Redaktion durch Angestellte der Chinesischen Akademie der Künste - seit zwei Jahren offizieller Aufpasser der Zeitschrift -, die sich mit Matratzen und Decken in der Redaktion niederließen.

Ein trauriges Ende für eine erstaunliche Erfolgsgeschichte. 200 000 Abonnenten hatte die Zeitschrift, und Millionen Leser. Das Blatt stand vorsichtig, aber unbeirrt ein für Meinungsfreiheit und die in der Verfassung versprochenen Rechte. Noch kann man das offizielle Konto der Zeitschrift auf dem Mikrobloggingdienst Weibo aufrufen. "Die Wahrheit furchtlos aufschreiben", steht da als Motto. "Und die Geschichte als Spiegel nehmen".

Damit vor allem leistete das Blatt Großes: der Geschichte nachspüren. Die Historie aber ist in China ein Minenfeld. Der Redakteur Yang Jisheng erregte weltweit Aufsehen mit seiner Recherche zu Maos "Großem Sprung nach vorne". In seinem Buch Grabstein spricht der heute 76-jährige Yang von mehr als 36 Millionen Toten, die Mao und "das System" auf dem Gewissen hätten. Yangs Buch ist in China verboten, seinen Job als Vize-Chefredakteur verlor er vergangenes Jahr.

Was in Deutschland Vergangenheitsbewältigung hieße, heißt im China Xi Jinpings "historischer Nihilismus" und gilt als Todsünde. Hunderte Blogger, Journalisten, Rechtsanwälte, Aktivisten wurden verhaftet. "Die Partei will alle Fronten der öffentlichen Meinung besetzen", sagt Wu Si, der 2014 als Chefredakteur des Blattes zurückgetreten war, der SZ. "Die Ideologie ist auf dem Vormarsch. Die Führung will alles wieder rot einfärben. Mit unseren Geschichten zu den Fehlern der Vergangenheit muss unser Blatt ihr tiefschwarz vorgekommen sein."

Im Jahr vor dem Amtsantritt Xis hatte Gründer Du Daozheng die Lage in China mit einem Dampfkochtopf verglichen: "Je mehr du das Ventil zuschraubst, um so stärker wird der Druck im Inneren, und eines Tages fliegt alles in die Luft." Die Aktion gegen sein Blatt erwischte ihn nun in einem seiner wehrlosesten Momente: Seine Frau war im Frühjahr gestorben, er selbst ins Krankenhaus eingeliefert worden. In einer ersten Reaktion auf die feindliche Übernahme der Redaktion sprach er von einem Vorgehen "wie in der Kulturrevolution". Dann erhob er Klage. Das Gericht lehnte seine Klage diese Woche ab.

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Quelle:
SZ vom 30.07.2016
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