Süddeutsche Zeitung

Regisseure über offenen Brief an ARD:"Ein Runterrocken von Drehtagen"

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Wer sich bei den Regisseuren umhört, die in einem offenen Brief die ARD kritisieren, hört vor allem Mutlosigkeit.

Von Stefan Fischer

Beschwerden erreichen die ARD unentwegt, das sind die öffentlich-rechtlichen Sender gewohnt. Nicht alle Kritik an ihnen ist substanziell. Die offenen Briefe von Autoren und Regisseuren, die zuletzt an die ARD adressiert worden sind, haben jedoch eine andere Qualität. Denn darin geht es nicht um Petitessen und Partikularinteressen, schon gar nicht um ein Querulantentum. Sondern um die grundlegenden Bedingungen für künstlerisches Arbeiten in den Sendern. Damit zusammen hängt der Respekt vor kreativer Leistung und der Umgang mit Auftragnehmern, die beinahe immer am kürzeren Hebel sitzen.

In Summe offenbaren die Proteste sowohl der Hörspiel- wie der Drehbuchautoren und nun auch noch der Filmregisseure, dass grundsätzlich etwas im Argen liegt in der Zusammenarbeit der ARD mit all jenen, die Spiel- und Dokumentarfilme, Hörspiele und künstlerische Features für sie realisieren. Mit deren Hilfe und Kunstschaffen die Öffentlich-Rechtlichen also einen beträchtlichen Teil ihres Programmauftrags in den Bereichen Kultur, Bildung und Unterhaltung erfüllen.

Im persönlichen Gespräch werden die Initiatoren des offenen Briefes, den der Bundesverband Regie am 1. Juli veröffentlicht hat, deutlich: "Das ist kein Geschichtenerzählen mehr mit den Mitteln des Films", sagt einer von ihnen, "sondern nur noch ein Runterrocken von Drehtagen." Die Fälle, in denen die Arbeit von Regisseurinnen und Regisseuren inzwischen zu einer reinen Dienstleistung für die Sender verkomme, würden sich massiv häufen, sagen sie. Aus Sicht der Regisseure stellt sich für die öffentlich-rechtlichen Sender die Frage, ob sie in Zukunft überhaupt noch filmische Werke haben möchten, die die Handschrift jener tragen, die sie geschrieben und inszeniert haben - oder nur noch austauschbare Massenware.

Regisseure haben eine große Verantwortung, aber ihnen fehlt der kreative Austausch

Der Bundesverband Regie möchte dazu in einen Austausch mit der ARD kommen, für die die weitaus meisten Spielfilme entstehen. "Bessere Filme entstehen nicht, indem Forderungen erhoben oder angedroht werden, sie entstehen in der Zusammenarbeit und in der Einigung darauf, was man verbessern und realisieren kann", heißt es in dem offenen Brief. Redebedarf gebe es genug, vor allem über ihre kreative Freiheit, so die Regisseure. Das sei eine große Verantwortung, erklärt einer von ihnen. Um ihr gerecht zu werden, müsse man jedoch auch die Möglichkeit erhalten, eigene Entscheidungen zu treffen. Das sei zunehmend nicht mehr möglich.

Es fehle der kreative Austausch zwischen den Filmredakteuren der Sender, den Produzenten, den Autoren und den Kreativen am Set. In den Gesprächen mit den Redaktionen stünden statt Diskussionen über Inhalte, Erzählhaltungen, ästhetischer Überlegungen stets formale Punkte im Zentrum: die Zahl der Drehtage, Formatfragen, Budgets.

"Es ist ja unglaublich viel Geld da", sagt ein Regisseur: "Die Frage ist, wie setze ich es ein und für was?" Immer wieder würden die Regisseure erleben, dass man für ein gutes Drehbuch nicht das Budget anpasst, sondern umgekehrt das Drehbuch an ein Budget. Offenkundig macht das einen Film nicht besser. Zumal wenn die Zahl der Drehtage immer weiter abnimmt. Es herrsche ein unglaublicher Druck am Set, bestätigen viele Regisseure im Gespräch. Möglichkeiten, etwas auszuprobieren oder noch einmal besser zu machen, bestünden immer seltener. Es gehe in der Regel nur noch darum, schnell und effektiv durchzukommen.

Die vielen Beschneidungen führen zu einer Mutlosigkeit bei vielen Beteiligten

Die Regisseure schildern Rahmenbedingungen, die kreative Prozesse verhindern, weil die Sender mit ihrem Handeln eine Kettenreaktion auslösen: Drehbuchautoren würden sich an bestimmte Stoffe gar nicht mehr heranwagen, ist zu hören, Regisseure können Szenen nicht oft genug drehen, um sie durch mehr Material im Schnitt aufregender zu gestalten. Für Produzenten gibt es hierzulande wiederum zu wenig Anreize, für den internationalen Markt zu produzieren. In der Konsequenz dieser vielen Beschneidungen, die auf allen Ebenen zur Mutlosigkeit führe, wie etliche Regisseure urteilen, sieht die Fiktion im deutschen Fernsehen so aus, wie sie aussieht: häufig bieder, auf Konsens angelegt, an den Lebensrealitäten vorbeizielend und speziell für Jüngere weitgehend uninteressant.

Damit hadern die Kreativen. Es sei ja nicht so, dass die Regisseure und Autoren, die Kameraleute und Cutter, die Schauspielerinnen und Schauspieler zu Hunderten ihre Jobs nicht verstünden. Man lasse sie sie inzwischen bloß immer seltener ordentlich machen. Das führe zu einer Frustration, die sich nun für alle sichtbar in dem offenen Brief niederschlägt. Etliche Regisseure beobachten auch, dass es immer schwieriger werde, Fachkräfte zu finden, Produktionsleiter etwa oder Oberbeleuchter. Einer sagt: "Die gehen zum Teil ins Ausland, weil dort vielfach die Arbeitsbedingungen besser sind. Oder sie suchen sich andere Jobs, weil es keinen Spaß mehr macht." Ein wenig neidisch schauen die Regisseurinnen und Regisseure ins Ausland. In Frankreich, Großbritannien und Skandinavien beispielsweise sei das Zusammenspiel von Sendern, Produzenten und Kreativen deutlich besser, da die Sender mehr Verantwortung abträten.

Bislang hat die ARD auf den offenen Brief der Regisseure noch nicht reagiert.

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