Süddeutsche Zeitung

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts:Geheimhaltung überwiegt nicht, wenn es um Pressefreiheit geht

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Von Ronen Steinke

Bis zu diesem Herbst war es so: Alle drei bis vier Monate luden die Geheimdienstler des Bundesnachrichtendienstes (BND) einen kleinen Kreis von Journalisten zu einem sogenannten Hintergrundgespräch nach Berlin ein. Das heißt, der Präsident des Bundesnachrichtendienstes, seit 2016 ist dies Bruno Kahl (CDU), ließ seine Fachleute einen Vortrag über ein aktuelles außenpolitisches Thema halten, anschließend stellte er sich den Fragen der Reporter, etwa dreißig von ihnen erhielten eine persönliche Einladung. Vorbedingung: Kein Wort davon dürfe man zitieren, alles müsse "unter drei" bleiben. Das heißt im Journalistenjargon: Es ist nur für den Hinterkopf.

Diese Art der heimlichen Öffentlichkeitsarbeit - heimlich, weil die Journalisten ihren Lesern möglichst wenig davon erzählen sollen - hat kürzlich schon das Bundesverwaltungsgericht beschäftigt, ein Redakteur des Berliner Tagesspiegel, Jost Müller-Neuhof, hatte geklagt. Es könne nicht sein, fand Müller-Neuhof, dass der BND ihm nicht einmal verraten wolle, über welche Themen der Dienst den ausgewählten Kollegen vortrage. Am 18. September haben die Richter des 6. Senats in Leipzig ihm in Teilen recht gegeben. Es ist ein Grundsatzurteil zu Hintergrundgesprächen geworden, zu einer Frage der Pressefreiheit. Nun haben die Richter auch ihre schriftliche Urteilsbegründung vorgelegt, 26 Seiten lang. Sie hat es in sich.

Die Richter geben Müller-Neuhof insoweit recht, als die Öffentlichkeit ein Recht darauf habe zu erfahren, wer sich da mit wem treffe und worüber sie sprächen. Dieser Teil der Amtsausübung des BND könne wohl kaum dem Geheimschutz unterliegen. Gästeliste, Termine, Themenagenda muss der BND nun offenlegen - nicht aber die konkreten Inhalte der vertraulichen Diskussionen. So offen wie möglich muss der BND künftig mit diesem Teil seiner Kommunikationsstrategie umgehen - das heißt offener als bisher.

Auch müsse sich Müller-Neuhof nicht länger sagen lassen: Was wollen Sie, Ihr Medium, der Tagesspiegel, war doch informiert! Sondern: Jeder einzelne Journalist, so betonen die Richter, habe einen persönlichen Anspruch, eine Auskunft über diese Hintergrundrunden zu erhalten. Es gehe hier um ein "Individualrecht" aller Angehörigen der Presse, das sich direkt aus dem Grundgesetz ergebe, Artikel 5, Absatz 1. Es genüge nicht, wenn der BND bloß aus einigen Medien - auch dem Tagesspiegel - jeweils eine Person auswähle. Wohlgemerkt: Das Urteil macht nicht einen Strich durch alle vertraulichen Hintergrundrunden. Jost Müller-Neuhof, der sagt, er habe zur Stärkung des journalistischen Auskunftsrechts schon circa 50 gerichtliche Verfahren angestrengt, hat sich nicht durchgesetzt mit seinem lang gehegten Wunsch, alles transparent zu machen und alle Gespräche "unter drei" juristisch für anrüchig zu erklären.

Er sieht in solchen Hintergrundrunden per se ein Problem, eine Art kollusives Zusammenwirken zulasten der Leser. "Die Regierung hat natürlich ein Interesse, Journalisten zu informieren, zu privilegieren und dadurch in gewisser Weise auch an sich zu binden", sagt Müller-Neuhof, "damit sie ihr bei der schwieriger werdenden Aufgabe, ihre Politik zu vermitteln, assistieren können." Auf der anderen Seite hätten auch die Journalisten ein Interesse, das wenig edel sei: "Wenn sie merken, sie haben ein Privileg, finden sie das erst einmal gut und haben nicht gleich ein Interesse, das sofort im Namen von Gleichheit, Gerechtigkeit und Transparenz wieder abzuschaffen."

Was für die Bundesregierung richtig sei, gelte noch lange nicht für die Behörde, so die Richter

Es darf solche vertraulichen Runden weiterhin geben, stellen die Richter klar. Auch der BND dürfe Hintergrundgespräche durchführen, so heißt es in einem der Leitsätze des Urteils, dies sei "im Rahmen seiner Befugnis zur Presse-, Öffentlichkeits- und Informationsarbeit" zulässig - und die Journalisten, so könnte man hinzufügen, können sich das anhören, so wie sie sich auch die Argumente von anderen Gesprächspartnern anhören und sich dann selbst eine Meinung bilden. Auch die "vereinbarte beziehungsweise vorausgesetzte Vertraulichkeit der Gespräche", so die Richter, sei grundsätzlich in Ordnung.

Die Auswahl der Teilnehmer müsse nur fair sein, nach "sachgerechten" Kriterien. Sie müsse das Spektrum der Medienlandschaft abbilden, es dürfe nicht dazu kommen, dass manche Journalisten gleicher sind als andere. Keinesfalls dürfe die Zusammensetzung der exklusiven Gästeliste "auf eine Reglementierung oder Steuerung der Medien oder eines Teils von ihnen hinauslaufen" - beispielsweise indem bestimmte Journalisten für eine freundliche Berichterstattung belohnt, andere sanktioniert würden. Darüber will das Gericht wachen. Einen Grund, den BND zu kritisieren, sehen die Richter hier derzeit zwar nicht. Sie zeigen aber ein offenes Ohr, falls Journalisten sich je beschweren wollen, nicht nur über den BND, sondern auch über jede andere staatliche Stelle.

Wirklich streng wird das Gericht gegenüber dem BND an einer anderen Stelle. Gute Gründe können dafür sprechen, dass der Dienst auf eine Frage von Journalisten hin lieber schweigen möchte - da wäre etwa der Schutz der Agenten vor Enttarnung, oder der Wunsch, eine Aktion im Ausland nicht zu gefährden. Aber solche Argumente möchten die Richter schon noch in jedem Einzelfall hören, darauf beharren sie. Es genüge nicht, wenn der BND einfach den pauschalen Satz formuliere, wonach sein Interesse an Geheimhaltung das Interesse der Pressefreiheit überwiege.

In diese Richtung hatten die Anwälte des BND argumentiert: Nur der BND selbst könne beurteilen, wie wichtig Geheimhaltung sei. Gegenüber der Justiz müsse er dafür nur in sehr eingeschränktem Maße Rechenschaft ablegen. Die Bundesregierung müsse sich ja auch nicht dafür erklären, warum sie bestimmte Auskünfte an Journalisten mit der Begründung verweigert, dass dies außenpolitisch schädlich wäre; die Justiz glaubt ihr das im Prinzip und hält sich bei der Überprüfung zurück. Die Richter haben dem nun deutlich widersprochen. Was für die Regierung richtig sei, gelte noch lange nicht für die Behörde namens BND: "Es besteht keine Grundlage für die Anerkennung eines solchen Spielraums." Die Judikative möchte es hier bitte schön in jedem Einzelfall präzise wissen.

Aus dem BND hieß es nach dem Urteil, man wolle erst einmal "gründlich prüfen, in welcher Weise wir unsere bisherige Praxis der Hintergrundgespräche fortsetzen können". Neue Einladungen hat es seither nicht gegeben.

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Quelle:
SZ vom 19.11.2019
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