Süddeutsche Zeitung

Berichterstattung über Täter:Vorsicht, Scheinwerfer

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Terror, Amok, Attentate: Wie berichtet man über Täter, ohne ihnen eine große Bühne zu geben? Vor allem, wenn diese sich selbst filmen? Das beschäftigt jetzt den Presserat.

Von Georg Mascolo

Zwei Mal im Jahr tritt das Plenum des Deutschen Presserats zusammen, es ist der Moment, wo die 28 Mitglieder über Grundsätzliches diskutieren und manchmal auch streiten. Über ethische Fragen oder eine Änderung der 16 Ziffern des Pressekodex, einer bis heute bedeutenden Richtlinie für die journalistische Arbeit.

Am 18. März ist es wieder so weit - und der Presserat hat sich entschieden, bei der dann anstehenden Diskussion nicht unter sich zu bleiben. Der Berliner Professor Vincenz Leuschner ist als Gast geladen, der Kriminologe und Soziologe soll vortragen über das, was seit Monaten die Nachrichten bestimmt: Über brutale Morde in Kassel, Halle oder Hanau, aber auch über mutmaßliche Amok-Täter, die mitten im hessischen Karneval sogar Kinder überfahren. Leuschner soll bei der Antwort auf die drängende Frage helfen: Welche und vor allem wie viel Berichterstattung über solche Taten ist angemessen? Und vor allem, ob die Nachrichtenflut Nachahmertaten nicht erst befördere und begünstige.

Die Zahl der Beschwerden nach jedem Anschlag jedenfalls nehme zu, sagt der Geschäftsführer des Presserates, Roman Portack. Und unter den 28 Männern und Frauen, die über diese Eingaben zu entscheiden haben, werde auch kritisch darüber diskutiert, "welche Rolle die identifizierende Berichterstattung über die Attentäter mittlerweile spielt. Wir haben eine neue Situation, wenn Täter sich während der Tat selbst filmen und fotografieren und sich diese Bilder später in die Medien wiederfinden".

Diese Entwicklung ist tatsächlich neu, das Phänomen allerdings alt. Seit Jahren diskutieren Wissenschaft und Medien, wie mit der Bühnensucht des Terrorismus umzugehen ist. Den Erfolg ihrer Anschläge messen Gruppen aller Art stets nicht nur an den Toten und Verletzten, sondern auch an der Größe der Schlagzeilen und der Länge der Sondersendungen. Die Verbreitung ihrer Geschichte ist der eigentliche Erfolg, die Belohnung ihrer Tat. Der Kampf mit der Waffe ist nur die Voraussetzung für den Kampf mit den Bildern. Manifeste werden hinterlassen und selbst Live-Übertragungen der Täter via Internet sind inzwischen üblich geworden. Ähnlich ist es mit vielen Amok-Tätern, sie suchen die Öffentlichkeit, ja, sie gieren nach ihr.

Nach dem Amoklauf von Winnenden im Jahr 2009 gab es sogar Vorschläge für ein "Schulamokveröffentlichungsgesetz", das Redakteure per Strafandrohung daran hindern sollte, Namen und Bilder der Täter zu veröffentlichten. Politiker wie die ehemalige britische Premierministerin Margaret Thatcher forderten bereits 1985, Medien sollten aufhören, über Terrorismus zu berichten. Den Gewalttätern müsse der "Sauerstoff der Publizität" entzogen werden.

Leuschner sieht inzwischen eine "Vermischung der beiden Phänomene". Man könne oft gar nicht mehr genau auseinanderhalten, worum es sich handele. Amokläufer würden heute bisweilen "ideologische Botschaften" transportieren, Terroristen wiederum ließen sich von Amokläufern inspirieren. Leuschner nennt diese Gewaltformen "demonstrative Attentate".

Fragt man in den Sicherheitsbehörden, hört man ähnliche Sorgen, der Boden schwankt. Amok, Terrorismus, psychische Instabilität, all dies lasse sich in vielen Fällen kaum noch sauber voneinander abgrenzen. Viele suchen das grelle Rampenlicht. In der heutigen Welt, in der es die alten und die neuen Medien gibt, strahlt es so hell wie nie. "Alle Warnsignale stehen auf Rot", sagt der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BdK), Sebastian Fiedler. "Wir wissen, wie überaus schädlich Foto und Name auf der Titelseite sind, dies motiviert potenzielle Folgetäter." Was also sollte der Presserat den Journalistinnen und Journalisten empfehlen? Fragt man Leuschner, zögert er einen Moment, bevor er sagt: "Es ist einfacher das Problem zu beschreiben, als damit umzugehen."

Bisher folgt der Presserat einer ziemlich klaren Linie. Nach jedem Fall gehen zahlreiche Beschwerden ein, die Spruchkammern entscheiden jeweils nach Stellungnahme der betroffenen Redaktion. Die letzten Fälle betrafen das Massaker an 50 Muslimen im neuseeländischen Christchurch im März sowie den Anschlag auf eine Synagoge und den Überfall auf einen Schnellimbiss im Oktober 2019 in Halle. In beiden Fällen entschied sich der Presserat, die Nennung der Namen und das Zeigen des Bildes der Täter als "presseethisch in Ordnung" zu beurteilen. Gerügt wurde allerdings in beiden Fällen die Bild- Zeitung, die jeweils lange Ausschnitte aus den von den Tätern gefertigten Videos der Tat gezeigt hatte. Ein Verstoß gegen Ziffer 11.2 des Pressekodex, entschied der Presserat, wonach die Presse sich nicht zum Werkzeug von Verbrechern machen darf. Im Fall Christchurch hieß es in der Entscheidung: "Indem sie die vom Täter gefilmten Szenen zeigte, schaffte die Redaktion ihm genau die öffentliche Bühne, die er haben wollte." Bedient worden seien "überwiegend Sensationsinteressen", diese "könnten im schlimmsten Fall zur Nachahmung anregen". Bild-Chefredakteur Julian Reichelt hatte argumentiert, die Bilder nicht zu zeigen, sei journalistisch und moralisch falsch. Nur einordnender Journalismus könne aus Propaganda ein Dokument machen. In einem Kommentar schrieb der Chefredakteur: "Wir glauben, dass wir diese Bilder zeigen müssen. Erst die Bilder verdeutlichen uns die erschütternde menschliche Dimension dieser Schreckenstat."

Die Entscheidungen der Bild nennt Fiedler "moralisch unanständig den Opfern gegenüber und in hohem Maße verantwortungslos". Aber reicht es in diesen Zeiten noch aus, es anders als Bild zu machen? Tatsächlich fordern viele inzwischen laut von den Medien, sich weitergehend zurückzuhalten als vom Presserat empfohlen. Nach Christchurch erklärte die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern, sie werde den Namen des Attentäters nicht in den Mund nehmen, eine spezielle Zensurvorschrift verbietet die Verbreitung seines Manifests. Schon nach den Anschlägen auf das französische Satire-Blatt Charlie Hebdo brach unter französischen Journalistinnen und Journalisten eine Debatte los, ob man die Namen der Täter nennen sollte. Nach Christchurch entschied sich die Zeit, den Namen des Mörders nicht abzudrucken. Es gibt inzwischen unter "den Medien" jene, die größte Zurückhaltung üben - auch die Süddeutsche Zeitung hat sich entschieden, den Namen nicht mehr zu nennen. Es gibt solche, die in den Videos und sonstigen Hinterlassenschaften der Mörder regelrecht baden.

Und es gibt die, welche einen Mittelweg suchen. Neu und ermutigend ist die Ernsthaftigkeit der Debatte. Einer der Autoren der Zeit-Geschichte über Christchurch erklärte, er hätte anders entschieden. Nur eine Beschreibung helfe dabei, den nächsten Täter frühzeitig zu erkennen. Mit der Hilfe des Kriminologen Leuschner will der Presserat jetzt klären, ob für die Täter "die Aufmerksamkeit der eigenen Gemeinschaft, die sie ohnehin über soziale Netzwerke erreichen, oder die allgemeine Bekanntheit, die über die Massenmedien vermittelt wird", wichtiger ist. Eine gute Frage. BdK-Mann Fiedler will eine Verschärfung des Pressekodex, mindestens aber neue Handreichungen, wie eine Berichterstattung in diesen Zeiten aussehen kann. Und wie besser nicht. Zu einem solchen Schritt entschied sich der Presserat schon einmal nach Winnenden. Wegen der zahllosen Grenzüberschreitungen in der Berichterstattung wurde ein 50-seitiger Praxis-Leitfaden mit Empfehlungen für Redaktionen herausgegeben. Aber in ihm geht es nur um Amokläufe. Es braucht einen breiteren Ansatz, sagt Fiedler. "Der Grund hierfür ist so simpel wie düster, die Presse wird nicht zum letzten Mal über Taten von psychisch auffälligen, agressionsgetriebenen, radikalisierten Tätern und deren Opfer zu berichten haben."

Zu den frühesten Kritikern einer zu lauten und wenig bedachten Berichterstattung gehörte stets Bruce Hoffman, einer der führenden Terrorismusforscher. In seinem inzwischen über zwanzig Jahre alten Standardwerk schreibt der US-amerikanische Professor, Medien reagierten auf terroristische Inszenierungen "mit einer beinahe ungezügelten Bereitwilligkeit". Fragt man ihn heute nach seiner Einschätzung dann sagt Hoffman, das sich doch sehr viel verändert habe. "Früher wollten diese Leute Rampenlicht und Aufmerksamkeit für eine vermeintlich große Sache schaffen, heute wollen sie das vor allem für sich selbst." Der heutige Tätertyp habe viel zu tun mit dem zerrissenen, dem aufgewühlten Zustand von Gesellschaften. In denen es so viel Hass gebe. Es sei wichtig zu verstehen, woher diese Form der Gewalt komme.

Wie soll man darüber berichten? "Man darf ihnen keine Plattform geben, im Zeitalter von Live-Streams der Täter ist das besonders wichtig", sagt Hoffman. Aber ebenso wichtig sei es auch, ausführlich zu berichten, aufzuklären. Rechtsterrorismus sei die größte Gefahr. "Die Menschen müssen informiert sein, um sich wehren zu können und die Staaten müssen so gezwungen werden, dagegen mit aller Macht vorzugehen."

Es wird also eine interessante und notwendige Diskussion werden, im Plenum des Deutschen Presserats.

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SZ vom 07.03.2020
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