Süddeutsche Zeitung

ARD:"Tagesthemen": Zamperoni und die Bürde des letzten Satzes

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Zur Begrüßung zitiert er Dante, im Politiker-Interview hakt er konsequent nach. Beim Schlusssatz folgt Ingo Zamperoni allerdings eher den Cliffhanger-Regeln Hollywoods.

Stilkritik von Johanna Bruckner

"Ein Ende kann ein Anfang sein", singt der deutsche Schlagersänger Roland Kaiser. Es ist nicht nur die Sehnsuchtszeile von Frauen und Männern mittleren Alters mit Föhnfrisur. Es könnte auch die Sehnsuchtszeile aller Tagesthemen-Moderatoren sein, deren wichtigster Moment in Minute 30 jeder Nachrichtensendung kommt. Dann, wenn es um den Schlusssatz geht.

" Kommen Sie gut durch die Nacht", sagte Thomas Roth, der Vorgänger von Ingo Zamperoni in der Position des Ersten Moderators der Tagesthemen. Roth hat seine finalen Worte nach eigener Aussage einem John-Lennon-Song entliehen ("Whatever Gets You Thru The Night"). John Lennon! Das macht Druck. Und wenn man Pech hat und der eigene Arbeitgeber das mit der Abschiedsformel marketingmäßig ausschlachtet, dann gibt's einen kleinen Hype.

"Das Gesicht verrät die Stimmung des Herzens"

Zamperoni tut zur Begrüßung am späten Montagabend das Einzige, was in einer so aufgeladenen Situation hilft: lächeln und einen berühmten Dichter zitieren. "Wie hatte Dante doch noch mal gesagt? Das Gesicht verrät die Stimmung des Herzens - meine dürfte also offensichtlich sein."

Das ist dieses Mal nicht nur eine unbedenkliche Hommage an Zamperonis italienische Wurzeln ( Stichwort: Fußball-Fiasko 2012), es ist zugleich die perfekte Überleitung zum eigentlichen Geschehen: den Nachrichten des Tages. Auch die Gesichter der EU-Kommissare dürften in diesen Tagen aussagekräftig sein, mutmaßt der 42-Jährige, allerdings ins Gegenteil verkehrt. Klar, es geht um die Ceta-Pleite.

Lust auf Kanzlerkandidat, Herr Schulz?

Zu Ceta interviewt Zamperoni kurz darauf EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Dabei gibt sich der Moderator sichtlich Mühe, einerseits beim Thema Freihandelsabkommen nachzuhaken und andererseits die Fragen zu stellen, die die Zuschauer wirklich interessieren. Zum Beispiel: Hätten Sie bei all den EU-Scherereien nicht viel mehr Lust auf Kanzlerkandidat, Herr Schulz?

Der SPD-Mann reagiert wie jeder Politiker in Bedrängnis - er lenkt ab: "Herr Zamperoni, das ist ja heute Ihre erste Sendung und deshalb ist diese Frage sicher auch 'ne ganz tolle und ich wünsch' Ihnen ganz viel Erfolg, vor allen Dinge dabei, Ihren Schlusssatz zu finden."

Zamperoni nimmt die Abfuhr gelassen: Die Kanzlerkandidatur sei wohl ein Thema für die Zukunft. Smart, seriös, attraktiv angegraut - für manche Zuschauerin und manchen Zuschauer ist Zamperoni so etwas wie der McDreamy unter den deutschen Nachrichtenmoderatoren. Nur kurz für weniger Arztserienkundige: Als McDreamy wird gemeinhin der ganz ansehnlich aussehende Schauspieler Patrick Dempsey alias Dr. Derek Shepherd in der Serie Grey's Anatomy bezeichnet. Apropos Arzt: Erwähnte Zeilen von Roland Kaiser leiteten in den Neunzigerjahren auch jede Folge von Dr. Stefan Frank - Der Arzt, dem die Frauen vertrauen ein. So könnte sich der Kreis schließen - wenn, ja wenn ...

Abmoderation à la Cliffhanger

"Du, Ingo, sag mal, hast du eigentlich so was wie einen Schlusssatz? So was habt ihr Männer doch immer", fragte Ko-Moderatorin Caren Miosga durchaus süffisant in einem Teaserfilmchen für Zamperonis Tagesthemen-Premiere. Der entmottete "Schlusssatz-Generator" wollte dann aber nicht mehr ausspucken als eine Fehlermeldung. Dabei ist "Error" kein Begriff, mit dem sich ein Erfolgsmensch wie Zamperoni schon groß hätte auseinandersetzen müssen. Schon einmal, in den Jahren 2012 und 2013, moderierte er die Tagesthemen, bevor er Korrespondent im ARD-Auslandsstudio in Washington wurde.

Sein Abmoderation folgt schließlich eher den Cliffhanger-Regeln Hollywoods. Wetter, weitere Programmhinweise, dann sagt Zamperoni: "Und das waren die Tagesthemen. Das heißt - fast." Viele Menschen beschäftige die Sache mit dem Schlusssatz, es seien eine Menge Zuschauervorschläge eingegangen. Allerdings, Stand heute: "Isch 'abe gar keine Schlusssatz. Aber vielleicht kommt irgendwann noch einer." Mit dieser Anspielung auf zwei große Italiener ( "Herr Angelo" aus einer Kaffeewerbung und Fußballtrainer Trapattoni) schließt sich der Kreis doch irgendwie, Studiokollege Thorsten Schröder spendet den Applaus.

"Ein Ende kann ein Anfang sein", singt Roland Kaiser, "auch für dich". Und weiter: "Alles was Du willst, liegt in Deinen Händen / es beginnt die Wirklichkeit, wenn die Träume enden." Oder um es mit Ex- Tagesthemen-Moderator Tom Buhrow zu sagen: "Morgen ist ein neuer Tag."

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