Süddeutsche Zeitung

Juristentag:Wer die Eltern sind, muss neu geregelt werden

Lesezeit: 3 min

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Das Familienbild verändert sich dramatisch. Wieder einmal, denn eigentlich ist die Familie einem permanenten Veränderungsprozess unterworfen; vor ein paar Jahrzehnten waren Patchwork-Familien oder unverheiratete Paare die Zeichen der familiären Evolution. Doch die neuen Familienformen, die sich im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zu etablieren beginnen, sind von der Traditionsfamilie sehr viel weiter entfernt.

Erstens hat die Reproduktionsmedizin neue Möglichkeiten des Kinderkriegens geschaffen - Samenspende, Eizellenspende, Leihmutterschaft. In Deutschland kommen jährlich etwa 1000 durch Spendersamen gezeugte Kinder zur Welt. Und zweitens gibt es, 15 Jahre nach Einführung der gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft, zunehmend Familien mit homosexuellen Eltern. 11 000 Kinder leben in solchen Familien (Stand 2014). Und etwa zwei Fünftel von ihnen wurden mithilfe von Samenspenden gezeugt.

Das altehrwürdige Bürgerliche Gesetzbuch ist nicht gemacht für Bioväter und Doppelmütter

Eines allerdings ist ähnlich wie früher, als man es mit "wilden Ehen" und wachsenden Scheidungszahlen zu tun hatte: Die rechtlichen Regeln hinken hinterher. Die Paragrafen des altehrwürdigen Bürgerlichen Gesetzbuches sind nicht gemacht für Bioväter und Doppelmütter. Weil aber die Frage, was Familie ist und wer dazu gehört, dringend geregelt werden muss - nicht nur, aber vor allem zum Wohle der Kinder -, hat der kommende Woche in Essen beginnende 71. Deutsche Juristentag das neue Familienrecht zu einem seiner zentralen Themen gemacht. Tobias Helms, Rechtsprofessor an der Uni Marburg, hat ein formidables Gutachten geschrieben, das zum Grundstein einer neuen Ordnung werden könnte.

SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt

SZ-Grafik; Quelle: Statistisches Bundesamt

Am augenfälligsten ist der Regelungsbedarf bei lesbischen Frauen, die sich durch eine Samenspende ihren Kinderwunsch erfüllen. Um rechtlich als Co-Mütter anerkannt zu werden, bleibt nur - trotz Lebenspartnerschaft - der umständliche Weg über die Stiefkindadoption. Das ist inkonsequent, weil die Familiengründung via Samenspende inzwischen zunehmend akzeptiert wird, auch in den Kliniken. Zudem sind Doppelmütter keine schlechteren Eltern, sagt die Wissenschaft. Entscheidend sind "die behütenden Verhältnisse", ob nun in Ehe oder Partnerschaft, befand 2013 das Bundesverfassungsgericht. Helms schlägt daher eine vereinfachte Co-Mutterschaft vor, wie sie in Österreich, England oder den Niederlanden inzwischen möglich ist.

Ein echtes Dilemma schafft dagegen der Umgang mit der Leihmutterschaft. In Deutschland ist sie verboten, aus gutem Grund; selbst Indien und Thailand wollen inzwischen den milliardenschweren Leihmuttertourismus eindämmen. Nur: Wenn, wie geschehen, zwei schwule Männer in Kalifornien ganz legal als Väter eines Leihmutterkindes anerkannt sind - soll Deutschland der Familie die rechtliche Sicherheit versagen? Der Bundesgerichtshof hat die Doppelväter anerkannt, auch zum Wohle des Kindes; der Gesetzgeber wird nachziehen müssen.

Hinzu kommt die komplizierte Frage, wie viele Eltern es denn sein sollen. Eine Samenspende kann auch alleinstehenden Frauen den Kinderwunsch erfüllen. Natürlich gibt es Alleinerziehende längst in großer Zahl, trotzdem steht der Gesetzgeber vor der Frage: Will er die Ein-Elternschaft ausdrücklich fördern? Oder will er bremsen, wohl wissend, dass die Frauen dann ins Ausland gehen? Und was geschieht, wenn sich mehrere soziale, rechtliche und genetische Eltern um das Kind scharen? Kann ein Kind zwei Väter und zwei Mütter zugleich haben? Das Verfassungsgericht hat 2003 entschieden, Eltern könnten immer nur zwei sein. Beruhigend, vorerst.

Der Juristentag wird keine Zauberformel finden, aber einige Tendenzen verstärken können. Die erste lautet: Die Übernahme tatsächlicher Verantwortung wird für die Elternfrage mitunter wichtiger sein als das genetische Band. Diskutiert wird beispielsweise auch über die Rolle von Stiefeltern, deren rechtliche Position immer noch unterentwickelt ist. Trotzdem gilt zweitens: Die biologische Herkunft wird keineswegs irrelevant, sondern wird zentral bleiben. Gerade auch dort, wo die rechtliche und genetische Elternschaft auseinanderfallen. Zum Beispiel beim Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, das anerkanntermaßen wichtig für die Identitätsfindung der Kinder ist. Damit es in Zeiten der Samenspende eingelöst werden kann, soll nun ein zentrales Spenderregister eingerichtet werden. Interessant ist übrigens, dass bei Adoptionen - wo die leiblichen Eltern stets als Störfaktor galten - inzwischen der Kontakt zur Herkunftsfamilie gefördert wird.

Überhaupt sollte man sich nicht täuschen lassen. Das Prinzip, dass Verantwortung wichtiger ist als Gene, bietet zwar einen guten Lösungsansatz für viele Konstellationen. Dennoch gilt: Die biologische Elternschaft ist prägendes Element einer sozialen Beziehung. Das genetische Band stärkt das Verantwortungsgefühl.

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SZ vom 10.09.2016
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