Süddeutsche Zeitung

Vom Christentum zum Islam:Muslima mit Mütze

Lesezeit: 6 min

Seit sich Claudia Jansen vor drei Jahren entschied, Muslima zu werden, hat sie ein Problem: In der Arbeit darf sie nur Mütze tragen - die Schulleitung will es so. Dabei ist das Kopftuch für die Konvertitin aus München ein Stück Freiheit.

Von Anna Fischhaber

Die Verwandlung dauert einige Minuten und passiert in einem zugigen Hauseingang. Claudia Jansen löst die Haarklammer, wickelt das lange grüne Tuch vom Kopf, bindet den Zopf hoch, aus dem sich ein paar braune Strähnen gelöst haben, und setzt die graue Mütze auf. Dann eilt sie ins Klassenzimmer.

Mathe-Nachhilfe steht auf dem Stundenplan. Muss sie ihre Dreadlocks verstecken? Ist sie eine Atomkraftgegenerin, die sich vermummt? Das wollen die Kinder der Münchner Privatschule, an der sie als Erzieherin arbeitet, oft wissen. Jansen ist dann ehrlich: Schülerinnen dürfen Kopftuch tragen, sie nicht. Die Schulleitung will es so. Seit sich die Münchnerin vor drei Jahren entschied, Muslima zu werden, hat sie ein Problem.

In Deutschland leben dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge etwa vier Millionen Muslime, knapp die Hälfte davon sind Frauen. Schätzungen zufolge trägt weniger als ein Drittel von ihnen ein Kopftuch - das wären aber immerhin 600.000. Putzfrauen sieht man bisweilen mit Kopfbedeckung, oder die Gemüseverkäuferin im türkischen Supermarkt nebenan. Aber wer kennt schon eine Ärztin oder eine Ingenieurin mit Kopftuch? Eine Polizistin oder eine Lehrerin? Claudia Jansen (Name von der Redaktion geändert) glaubt, genau hier liege der Fehler: Wenn die Strukturen nicht interkulturell sind, wie sollen die Menschen dann Toleranz lernen?

Mit dem Schönschreibfüller zum Islam

Zum Islam sei sie über ihren Schönschreibfüller gekommen, erzählt die 30-Jährige bei einem ersten Treffen im Biergarten. Jansen hat Tee bestellt. Sie ist zierlich und blass, aber sie wirkt nicht wie eine Frau, die sich etwas vorschreiben lässt. Als sie erzählt, wie erschrocken ihre Eltern, gläubige Katholiken aus den Niederlanden, waren, als sie konvertierte, muss sie lachen. "Für sie kam das aus dem Nichts." Dabei begann die Geschichte schon in ihrer Jugend. Als Mädchen, damals noch Messdienerin in der pfälzischen Heimat, interessierte sie sich für Kalligrafie.

Mit Hilfe ihres Füller entdeckte sie bald auch die arabischen Schriftzeichen. Sie machte einen Arabischkurs, las im Koran. Als sie bei der Kirche keine Antworten mehr fand, ging sie in eine Moschee. Sie probierte aus, wie es sich anfühlt, dort zu beten. Es fühlte sich gut an. Bald hatte Jansen viele muslimische Freundinnen, nach dem sie den Vortrag eines Imams gehört hatte, beschloss sie zu konvertieren. Spontan. Der Imam wollte wissen, ob sie sich auch mit dem Glauben auseinandergesetzt habe. Sie hatte. Er nahm ihr das Schahada ab, das Glaubensbekenntnis, und aus der Katholikin wurde innerhalb weniger Minuten eine Schwester.

Auf dem Papier ist Jansen bis heute katholisch, im Alltag ist sie Muslima. Zunächst eine Muslima mit Mütze. Die Schulleitung wollte das Kopftuch in der Schule nicht akzeptieren und die Münchnerin wollte sich nicht ständig umziehen. Nach einem Jahr hatte sie die Wolle satt und fragte noch einmal nach. Doch in der Schule hätten sie lieber eine "neutrale" Erzieherin gewollt. Nun gibt es Claudia Jansen zweimal: mit Mütze und mit Kopftuch.

Es gibt wohl kaum ein Kleidungsstück, das so viele Diskussionen provoziert. Als Grundschullehrerein Fereshta Ludin vor einigen Jahren vor das Bundesverfassungsgericht zog, um mit Kopftuch unterrichten zu dürfen, kam es in Deutschland zu einer Art Kulturkampf. Gestritten wurde zunächst nur über das Kopftuch im Klassenzimmer, die eigentliche Streitfrage aber lautete bald: Wie viel Islam verträgt unsere Gesellschaft?

Besonders harsche Worte fand damals Deutschlands bekannteste Feministin Alice Schwarzer. Ein wenig klang es so, als würde mit dem Kopftuch das Abendland untergehen. Der Schleier der Frauen sei "die Flagge der islamistischen Kreuzzügler" erklärte sie und forderte: "Zeit also, endlich Schluss zu machen mit der gönnerhaften Pseudotoleranz und anzufangen mit ernsthaftem Respekt."

Die Karlsruher Richter entschieden 2003, dass für ein generelles Verbot an öffentlichen Schulen eine gesetzliche Grundlage fehle. Zahlreiche Bundesländer, darunter auch Bayern, reagierten und verbaten sichtbare religiöse Kleidungsstücke im Schuldienst. Für Jansen gilt das Gesetz nicht. Sie arbeitet an einer Privatschule. Aber sie will ihren Job nicht verlieren.

Viele muslimische Freundinnen finden keine Arbeit, erzählt sie. Nach Erkenntnissen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes haben Muslimas mit Kopftuch auf dem deutschen Arbeitsmarkt schlechte Chancen. Eine deutliche Mehrheit der Arbeitgeber wolle keine Frauen mit Kopfbedeckung einstellen.

"Wieso müssen wir über ein Stück Stoff sprechen?"

Claudia Jansen kennt diese Vorurteile, sie wird oft damit konfrontiert. Von Bekannten, von Kollegen, in der U-Bahn. Ob sie Deutsche sei. Wieso sich so eine hübsche, junge Frau verhüllen muss. Ob ihr Mann sie dazu zwingt. Dabei hat sie sich für das Kopftuch entschieden, bevor sie ihren Mann kennengelernt hat. Als sie mal wieder enttäuscht von der strikten Haltung der Schule nach Hause kam, schlug der tunesische Muslim vor, sie solle die Kopfbedeckung doch einfach ganz abnehmen. Doch Jansen wollte nicht. Für sie heißt Islam: respektvoll, bescheiden, würdevoll zu leben. Das gilt auch für die Kleidung.

Ob der Koran wirklich zum Kopftuch verpflichtet, ist in der islamischen Welt umstritten. Claudia Jansen nimmt den Glauben ernst. Sie ist eine gute Muslima. Sie betet fünfmal am Tag, trinkt keinen Alkohol, isst kein Fleisch. Gleichzeitig hat sie ziemlich liberale Ansichten. Sie hat in einer WG gelebt, hört sich die Trinkgeschichten ihrer nichtmuslimischen Freunde an, missioniert nicht. Sie findet, jeder sollte das glauben, womit er sich wohlfühlt. Jemanden zum Kopftuch zwingen? Für sie undenkbar. "Man muss das fühlen", sagt sie. Sich komplett verschleiern? Jansen schüttelt erschrocken den Kopf. "Ich kann das aus dem Koran nicht ableiten. Und ich verstehe, dass die Menschen Angst haben, wenn sie ihren Gegenüber nicht sehen."

Zum Beten legt die Münchnerin zusätzlich zum Kopftuch die lange schwarze Abaya mit den glitzernden Ärmeln an, die ihre Füße bedeckt. Der Koran fordert das so. "Allah", murmelt sie, kniet nieder, legt die Stirn auf den Boden, steht wieder auf. Sie lächelt. Dann erzählt sie, dass sie die Abaya manchmal auch zum Frühstück trägt, über dem Schlafanzug - wie andere einen Bademantel. Als sie neulich auf einer Fortbildung war, erntete sie misstrauische Blicke. "Die Leute denken dann gleich, ich will mich verhüllen."

Claudia Jansen, grüne Cordhose, Turnschuhe, Jeansmantel, ist keine Frau, die sich versteckt. Sie ist gebildet, schlagfertig, wortgewandt. Sie geht joggen, unterrichtet Yoga, lernt massieren - mit Kopftuch. Nur in der Schule muss sie sich verstecken. Sie versteht das nicht. "Die Schüler können mich danach bewerten, was ich kann. Nicht wie ich aussehe." Außerdem gebe es wichtigere Fragen im Berufsleben. "Wieso reden wir nicht über Gleichberechtigung am Arbeitsplatz oder Kinderbetreuung?", fragt Jansen. "Wieso müssen wir über ein Stück Stoff sprechen? Wie lang ein Rock ist, interessiert doch auch niemanden."

Oder doch? Wieso muss sich die Frau verhüllen und der Mann nicht? "Ich erwarte von einem muslimischen Mann auch eine würdevolle Bekleidung. Er in Unterhemd und sie in Burka, das geht gar nicht", sagt Claudia Jansen. Früher habe sie sich oft Gedanken gemacht, wie sie auf Männer wirkt. Ob die Frisur sitzt, ob die Klamotten passen. Mit dem Kopftuch sind diese Fragen für sie verschwunden. "Jetzt brauche ich keine Bestätigung mehr von außen", sagt sie. Mit dem Kopftuch fühle sie sich beschützter, distanzierter, schöner. "Ich fühle mich frei mit dem Kopftuch", sagt sie.

Die 30-Jährige hat Ethnologie studiert, hat sich viele Gedanken gemacht. Was sie sagt, provoziert Fragen: Was ist eigentlich Gleichberechtigung? Und sind all die Frauen, die sich für den Job oder für Männer hübsch machen, wirklich freier? Nur weil sie eben kein Kopftuch tragen? Oder sieht man ihnen ihre Ungleichheit nur nicht sofort an?

Für Kritiker ist die Sache klar, das Kopftuch steht für Ungleichheit, Rückschritt, Unterdrückung. Viele muslimische Frauen halten dagegen, dass sie die Kopfbedeckung aus freien Stücken tragen. Für eine bereits 2006 von der Konrad-Adenauer-Stiftung veröffentlichte Untersuchung wurden mehr als 300 türkischstämmige Frauen zwischen 18 und 40 in deutsche Moscheen befragt. Die Auswahl sei, wie die Autoren betonen, für Muslimas in Deutschland nicht repräsentativ. Interessant ist aber: 97 Prozent gaben an, das Kopftuch aus religiösen Gründen zu tragen. Die Annahme, es werde auf Druck männlicher Familienmitglieder getragen, wurde nicht bestätigt.

"Das Kopftuch vermittelt Sicherheit"

Allerdings wuchsen die Teilnehmerinnen der Studie, anders als Jansen, in einem Umfeld auf, in dem das Kopftuch selbstverständlich ist. Und doch gibt es Parallelen: Neun von zehn Befragten gaben an, daraus Selbstvertrauen zu schöpfen. Mehr als die Hälfte der Frauen erklärte aber auch, sie fühle sich damit in Deutschland benachteiligt. Die Studie "Muslimisches Leben in Deutschland" im Auftrag der Deutschen Islam Konferenz, für die 2009 mehr als 1000 Muslimas befragt wurden, bestätigt die Ergebnisse: Mehr als 90 Prozent der Frauen mit Kopftuch sprechen von religiösen Gründen. Der zweihäufigste Grund (43 Prozent): "Das Kopftuch vermittelt Sicherheit." Erwartungen von anderen spielten meist eine untergeordnete Rolle.

Für das Leben von Claudia Jansen spielen Erwartungen anderer eine große Rolle. Zumindest die Erwartungen der Schule. In der Freistunde geht sie ein paar Schritte zur Hinterhofmoschee um die Ecke. Eine schwarze Frau mit Gesichtsschleier grüßt freundlich, ein paar Männer lächeln. Sie kennen Jansen, nennen sie "Schwester". Obwohl sie wahrscheinlich die einzige mit Mütze hier ist. Doch das ist nicht wichtig.

Im Keller mit den schweren Teppichen zieht Jansen die Turnschuhe aus und das Kopftuch wieder an. Vor dem Spiegel wäscht sie ihre Füße. Dann bindet sie das lange grüne Tuch um den Kopf, befestigt es mit der Haarklammer unter dem Kinn, kramt die Abaya aus der Schultasche. Zeit für das Mittagsgebet. Für wenige Minuten kann Claudia Jansen nun sie selbst sein. Dann muss sie sich wieder verwandeln.

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