Süddeutsche Zeitung

Tiere:Hühner im Rollstuhl

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Auf einem Bauernhof in Israel leben Tiere mit Behinderung: Blinde Ziegen, lahme Rinder und Schafe mit Spezialschienen. Die Stars: zwei riesige Schweine.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Gary will spielen: Immer wieder stupst er seinen Kopf gegen die Beine der Besucher. Anderen läuft Gary hinterher - in einer Geschwindigkeit, die man von ihm nicht erwarten würde. Denn Gary ist ein Schaf, ein Schaf mit Behinderung, um genau zu sein. Seine Vorderbeine stecken in Schienen. Ein bisschen lustig sehen die aus, als ob Gary Trekkingsandalen anhätte.

Willkommen auf der Freedom Farm in Israel, einem Bauernhof für Tiere mit Behinderung. Manche Hühner sitzen hier im Rollstuhl. Die Ziege Omer ist blind. Und Nir ist wahrscheinlich das einzige Rind im Nahen Osten mit einer Prothese, einem künstlichen Bein. Auch Miri, der Esel, hat nur drei Beine. Sie wurde in einem Straßengraben gefunden. Ein Bein war gebrochen und musste amputiert werden. Heute kann sie wieder laufen.

Insgesamt 240 Tiere leben auf dem Gelände. Manche wurden verletzt, als sie irgendwohin transportiert wurden, einige wollten die Besitzer loswerden, andere wurden einfach ausgesetzt. Dass es diese Rettungsstation für Tiere überhaupt gibt, ist Adit Romano und Meital Ben Ari zu verdanken. Romano hat vor vier Jahren einen Film über das Leben von Tieren mit Einschränkungen gesehen und entschieden, ihren Job als Unternehmerin aufzugeben und etwas für die Tiere zu machen. Die Mutter von drei Kindern tat sich mit Ben Ari zusammen, die bis dahin mit Computern gearbeitet hatte. Mit ihrem Ersparten und Spenden gründeten sie gemeinsam die Freedom Farm, die einzige Rettungsstation für Tiere in Israel.

Von Anfang an wollten sie aber auch Menschen etwas beibringen. Schulklassen kommen nach Olesh, das etwa eine Stunde von Tel Aviv entfernt ist. Aber auch einzelne Kinder, die Probleme haben, besuchen die Rettungsstation: Weil sie krank sind oder weil sie gemobbt werden oder selbst aggressiv sind. "Tiere machen aus jedem einen besseren Menschen, wenn man sich mit ihnen beschäftigt", sagt Adit Romano. Die Tiere auf der Freedom Farm laufen frei herum. Sie sind die Besucher gewohnt, freuen sich, wenn sie gestreichelt werden.

Die am meisten bestaunten Tiere sind Josi und Omri. Sie sind so etwas wie die Stars auf der Farm. Durch einen Fehler in ihrem Erbgut sind sie zu Riesenschweinen herangewachsen, ihre Vorderbeine sind zu kurz und tragen sie kaum. Weil Juden kein Schweinefleisch essen dürfen, ist es in dem jüdischen Staat eigentlich verboten, Schweine zu halten. Josi und Omri wurden illegal nach Israel gebracht und sind schließlich auf die Freedom Farm gelangt.

Ein Besucher streichelt Josi. Er grunzt genüsslich, will noch mal gestreichelt werden. Aber da drängt sich schon Gary dazwischen, das Schaf mit den Schienen wie Trekkingsandalen. Gary will spielen.

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Quelle:
SZ vom 15.06.2019
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