Süddeutsche Zeitung

Religion:Wer glaubt, wird seelig?

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Corona hat auch so etwas wie Glauben kompliziert gemacht - zumindest wenn man es gemeinsam tut. Über Singen mit Maske und Hafefuja, über Rabbiner auf Abstand und fünfmaliges Verbeugen mit Hygienemaßnahmen. Warum Kinder heute Gottesdienste besuchen.

Protokolle: Georg Cadeggianini, Dunja Ramadan

Jacob, 12:

"Der Freitag ist der stressigste Tag bei uns. Da richten wir alles für den Shabbat her. Einkaufen, putzen, das Haus schön machen. Ich muss meistens saugen und so Sachen. Der Shabbat beginnt am Freitagabend nach Sonnenuntergang. Ab dann ist alles richtig entspannt. Es ist wie ein Schalter, den man umlegt. Man darf keine Hausaufgaben machen (den ganzen Samstag nicht), dafür den Nachtisch als erstes essen. Da fühle ich mich dann wie in einer Blase, ein bisschen aus der Zeit gefallen, eine schöne Mischung aus engem Familienleben, religiösen Traditionen (rituellem Händewaschen, Segenssprüchen, Kerzen anzünden, Gebeten) und echtem Feiern: Es gibt Waldmeisterlimo! Mir macht es Spaß zu beten. Hört sich vielleicht ein bisschen komisch an, dieser Satz. Trotzdem. In der Synagoge gibt es diesen Moment beim gemeinsamen Gebet, nicht immer, aber doch ziemlich oft, meistens gegen Ende: Entspannt fühlt sich das an, warm. Das Gefühl, am richtigen Ort zu sein. Ich fühle mich dannaufgehoben, verbunden mit den Menschen aus der Gemeinde dort. Wie eine besondere Familie, "Halbfamilie" könnte man das vielleicht nennen. Früher haben wir uns am Schluss immer umarmt. Man wünscht dem anderen "Shabbat shalom", das heißt so viel wie "guten Shabbes", von einem zum nächsten, die ganze Gemeinde durch. Aber jetzt mit Corona geht das nicht mehr. Höchstens 20 dürfen gleichzeitig in die Synagoge. Im Januar soll ich meine Bar Mitzvah feiern. Das ist die Feier, mit der wir im jüdischen Sinne erwachsen werden. Ein ganzes Jahr habe ich mich darauf vorbereitet. Ob die Bar Mitzvah tatsächlich stattfinden kann, ist aber nicht sicher. Ich hoffe sehr."

Amina, 11:

"Vor allem der Fastenmonat Ramadan war diesmal ganz anders. Letztes Jahr haben wir ständig Familie und Freunde besucht und eingeladen. Cousins, Cousinen, Tanten, Onkel. In diesem Jahr konnten wir niemanden einladen und niemand hat uns besucht. Es war ganz ruhig. Immerhin: So konnte ich mehr Zeit mit meiner Familie verbringen. Mehr quatschen, zusammen sitzen, beten und tunesische Serien gucken. Trotzdem hat mir das Gemeinschaftsgefühl gefehlt. Eigentlich gibt es im Ramadan immer ein Kinderfastenbrechen mit Pommes und Fleischpflanzerl in der Moschee. Jeder bekommt kleine Geschenke und es ist ganz schön dekoriert, mit bunten Servietten und Laternen. Im letzten Jahr gab es davor einen kurzen Vortrag über den Umgang des Propheten Mohammed mit Kindern. Danach durften wir an die Erwachsenen in der Moschee Datteln verteilen: Es geht los mit dem Fastenbrechen! Dieses Jahr ist das alles ausgefallen. Ich habe den Gebetsruf vermisst und auch die bekannten Gesichter. Früher war ich jeden Samstag in der Moschee. Jetzt haben wir Online-Unterricht. Jeder liest abwechselnd ein paar Koranverse vor. Ich war seit der Coronakrise nur einmal in der Moschee und das war am Opferfest Ende Juli. Man musste sich vorher anmelden. Mama hat einen Gebetsteppich mitgebracht, auf dem wir beide dann gebetet haben. Das war schon komisch. Beten mit Maske. Und leider gab es - wie schon zu Ramadan - keine Feier für Kinder, also auch keine Süßigkeiten, keine Geschenke."

Philipp, 11:

"Ein Gottesdienst, wenn er überhaupt stattfindet, ist in diesen Zeiten ziemlich anders. Das fängt am Eingang an. Da ist kein Weihwasser drin, mit dem man sich bekreuzigen könnte. Infektionsgefahr. Der Friedensgruß ist jetzt eine Fantasieverbeugung und gesungen wird durch Masken: Hafefujahafefuhafefuja! Ich mag es trotzdem. Für mich ist Gottesdienst wie ein zweites Zuhause. Wie eine Pause. Eine Dreiviertelstunde keine kleine Schwester, keine Eltern, kein Albern mit Kumpels. Das ist schwierig zu beschrieben, weil - ich mag das ja alles gern - aber trotzdem: Ein Sonntag mit Gottesdienst fühlt sich ganz anders an, als einer ohne. Irgendwie ausgeruhter, mit anderen Regeln. Er relativiert. "Es gibt genügend andere wichtige Dinge." Das ist so ein Satz, der oft nach einem Gottesdienst bei mir im Kopf rumspukt. Und zwar ganz egal, über was ich mich vorher geärgert habe. Früher, also lang bevor ich geboren wurde, war der Sonntag der erste Tag der Woche. Das finde ich schön. Manchmal fühlt sich die Kirche an wie eine Eishalle. Angenehm kühl. Die Luft anders. Der Ton, der Hall. Auch das macht Ruhe. Ich gehe etwa drei mal im Monat in die Kirche. Die meisten meiner Kumpels wissen das nicht. Die, die es wissen, finden es nicht schlimm. Ich ministriere. Das bedeutet, dass ich dem Pfarrer beim Messehalten helfe. Ich halte am liebsten die Bibel. Das ist lustig. Man hält das schwere Buch über den Kopf und der Pfarrer liest daraus vor. Da schauen einen alle an. Wenn kleine Kinder das das erste Mal sehen, müssen sie oft kichern. Man kann das schon komisch finden. Eine ganze Schulstunde lang in einem komischen weißen Gewand in der Kirche hocken - und das alles für ein bisschen Ruhe, besonderes Gefühl, andere Gemeinschaft? Manchmal habe ich selbst keine Lust hinzugehen. Meistens lohnt es sich dann aber doch irgendwie. Ich spiele Eishockey, bin Verteidiger. Dieses Jahr wurden wir mit der U11 Vize-Deutschlandmeister. Ich würde sagen, meine Spezialität ist die kleine Lücke. Die dann zu sehen und den Puck direkt auf die Kelle zu schicken. Dafür braucht man ziemlich viel Ruhe."

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Quelle:
SZ vom 19.09.2020
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