Süddeutsche Zeitung

Porträt:In der Kampfzone

Lesezeit: 6 min

Jenna Behrends, 28, macht für die CDU in Berlin Lokalpolitik. Bekannt aber wurde sie, weil ein Parteikollege sie öffentlich "große, süße Maus" nannte. Sie wehrte sich. Eine Geschichte über Frauen in der Politik.

Von Verena Mayer

Jenna Behrends schleppt eine riesige durchsichtige Tasche. So wie man sie hat, wenn man oft in einer Bibliothek ist, und alles, was man bei sich trägt, sichtbar sein muss. Darin Bücher, ein Tablet und Unterlagen, es ist die Tasche einer Person, die vorbereitet sein will auf das, was sie tut.

Jenna Behrends ist Politikerin in Berlin. Sie setzt sich in einen Saal im Rathaus Mitte, in dem der Ausschuss "Bürgerdienste und Wohnen" tagt. Es geht um Schimmelbefall in einem Gebäude, eine illegale Ferienwohnung und die Terminvergabe auf dem Bürgeramt. Behrends guckt konzentriert auf ihr Tablet, immer wieder meldet sie sich zu Wort. Erklärt die rechtliche Situation von Ferienwohnungen, schlägt vor, wie man die Website des Bürgeramts benutzerfreundlicher machen könnte.

Wenn man 28 ist und in Berlin lebt wie Jenna Behrends, gibt es an einem Donnerstagabend aufregendere Dinge zu tun als Bezirkspolitik. Behrends studiert noch dazu Jura, bald tritt sie zum ersten Staatsexamen an. Und doch vermittelt sie sehr überzeugend den Eindruck, es gebe nichts Wichtigeres, als für die CDU in diesem Saal zu sitzen, auf der untersten politischen Ebene, natürlich unbezahlt.

Eine hochqualifizierte Frau, die sich ehrenamtlich in die Politik hineinkniet - in Zeiten der Politikverdrossenheit ist das genau die Art von Engagement, die man sich wünscht. Doch Jenna Behrends wird bei der nächsten Wahl nicht mehr antreten. Sie hat genug von der Politik.

Politik bedeutet auch ein Gespür für den richtigen Augenblick. Das hat ihr damals gefehlt

Denn die Politik hat es ihr nicht gerade leicht gemacht. Der Name Jenna Behrends sagt den wenigsten etwas, aber bei den meisten klingelt es beim Stichwort "große, süße Maus". So nämlich hat ein CDU-Senator sie auf einem Parteitag genannt, was Behrends 2016 an die Öffentlichkeit brachte. In einem offenen Brief an die "liebe Partei", in dem sie schilderte, wie derselbe Politiker im Berliner Abgeordnetenhaus einen Kollegen, der Behrends unterstützte, fragte: "Fickst du die?" Seither ist ihre Geschichte ein Beispiel dafür, was jungen Frauen passieren kann, die sich in einer Volkspartei engagieren.

Berlin-Mitte, Ende Februar. Jenna Behrends schlägt als Treffpunkt die Kunst-Werke vor, einen Ausstellungsort für moderne Kunst. Rundherum Altbauten und teure Läden, es ist die Gegend der Modeblogger und Galeriebesitzerinnen. Auch Jenna Behrends könnte mit ihrem schwarzen Kleid und den weißen Turnschuhen eine Besucherin des Gallery-Weekends sein. Das Café hat zu, Behrends lotst einen um die Ecke in ein anderes und dort in den hintersten Teil, gleich neben der Toilette. So, als fürchte sie, erkannt und angesprochen zu werden. Sie hat lange geschwiegen über das, was ihr passiert ist. Doch jetzt ist sie wieder da. Sie hat ein Buch herausgebracht, schreibt politische Kommentare für ein Online-Portal und gibt Interviews.

Behrends spricht wohlüberlegt, so, als würde sie jedes Wort abklopfen, bevor sie es formuliert. Bei Fragen denkt sie erst nach; wenn man einen Witz über die Berliner Politik macht, schweigt sie oder sagt: "Das sind Ihre Worte." Es ist schwer zu sagen, ob sie so reagiert, weil sie sachlich bleiben will. Oder weil sie schlechte Erfahrungen mit der Öffentlichkeit gemacht hat.

Mit Politik hatte sie nicht viel am Hut, bis vor fünf Jahren ihre Tochter geboren wurde. Da habe sie gemerkt, dass theoretisch zwar alles gut ist für junge Familien, mit Eltern- und Kindergeld, dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Doch in der Realität fand Behrends keine Hebamme, keinen Kinderarzt und keine Kinderbetreuung. Sie beschloss, etwas zu tun, das nicht gerade zum Lifestyle von Berlin-Mitte gehört, wo viele ihre Weltanschauung darüber definieren, welches Yoga man macht oder welche Serien man streamt: in die Politik zu gehen. Und warum gerade die CDU? Sie sei tatsächlich konservativ, sagt Behrends, schon von ihrer Herkunft her. Behrends ist als Kind von Landwirten in Niedersachsen "mit einem klassischen Parteienverständnis" aufgewachsen; auf dem Dorf, wo man miteinander auskommen muss, weil man zusammen bei der Freiwilligen Feuerwehr ist oder in der Kirchengemeinde. "Da geht man nicht ideologisch ran, sondern pragmatisch." Obwohl sie keine Parteierfahrung hatte, kam sie schnell auf einen sicheren Listenplatz.

Politik ist eine Sache des richtigen Augenblicks. Gespür für Situationen zu haben, dafür, wann man etwas tut oder sagt, ein bisschen wie in einer Komödie, in der es auf die Tempowechsel ankommt. Einer, der das perfekt beherrscht, ist der CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Amthor, mit seinen 26 Jahren aus derselben Generation wie Behrends. Amthor trägt keine durchsichtige Bibliothekstasche, sondern eine Deutschlandflagge am Revers. Er wägt seine Worte nicht ab, er sagt am Kaffeestand auf dem Parteitag auf die Frage, ob er Zucker wolle: "Für das Süße sind die Frauen zuständig." Der Reporter Tim Kummert, der Amthor für den Spiegel begleitete, brachte diese Szene in die Welt und warf ein Licht auf den Berliner Politikbetrieb im Jahr 2019. Denn Amthor macht mit seinem Satz ja alles richtig: Die umstehenden Funktionäre grinsen, der Satz schweißt sie zusammen: "Sie sind nun eins, die Alten und der Junge", heißt es in dem Text. Altherrenwitze sind in der CDU anschlussfähiger als die kritische Innenschau.

Sie wusste, sie würde sich unbeliebt machen. Mit so viel Hass hat sie nicht gerechnet

In dieser Logik hat Behrends alles falsch gemacht. Nachdem sie 2015 in die Partei eingetreten war, fiel ihr einiges auf. Nach ihrer Bewerbungsrede auf dem Parteitag fragte jemand, wie viele Plakate sie schon geklebt habe. Man riet ihr als "außerordentlich hübsche und kluge Frau", sich nicht überall in der Partei einzumischen, "dann mögen die Sie auch lieber". Und ständig wurde ihr unterstellt, sie habe sich hochgeschlafen. Behrends, damals alleinerziehende Mutter, tauschte sich mit anderen Frauen aus der Partei aus, die Ähnliches erzählten. Dann schrieb sie den Brief.

Natürlich habe sie gewusst, dass sie sich damit "keine Freude mache", sagt sie. Über den Shitstorm, der sie traf, ist sie aber heute noch erstaunt. Berliner Politiker hielten ihr vor, die Partei zu schädigen, die frühere CDU-Familienministerin Kristina Schröder sprach von "Arroganz". Die Welt warf ihr vor, sie ziehe gegen ihre politischen Förderer "den Dolch", die FAZ vermutete einen gezielten Medien-Coup und titelte: "Süße Mäuse sind gefährlich". Illustriert war der Text mit Zuckermäusen.

Hätte Behrends den Brief ein Jahr später geschrieben, im Herbst 2017, dann wäre das der richtige Moment gewesen. Sie wäre in die "Me Too"-Bewegung geraten und von einer Welle der Solidarität getragen worden. Frauen in ganz Deutschland hätten sich auf ihre Seite geschlagen, Politikerinnen ihre Geschichten erzählt, so wie es dann auch Anfang 2018 geschah, als 95 junge Politikerinnen aus dem gesamten politischen Spektrum in der Huffington Post über ihre Erfahrungen sprachen, die von sexistischen Sprüchen bis zu einer Vergewaltigung auf einem politischen Wochenende reichten.

2016 aber war Behrends allein mit ihrem Thema. "Dass die Frauen sich zurückhielten, weil der Preis zu hoch wäre, habe ich in jedem Einzelfall verstanden", sagt Behrends, "aber in der Gruppe wäre es einfacher gewesen, nach vorne zu gehen." Was folgte, war eine Dynamik, die man oft in der Politik beobachten kann. Die Person, die sich mit einer unliebsamen Agenda vorgewagt hat, wird erst von allen Seiten angegriffen und am Ende von irgendjemandem erledigt. Diese Rolle hatte Sandra Cegla. Cegla, Kriminalkommissarin a. D., kam 2012 zur Frauen-Union und war deren Kreisvorsitzende in Berlin-Mitte. In einer Pressemitteilung zweifelte sie Behrends' Glaubwürdigkeit an und warf ihr vor, eine Affäre mit dem damaligen CDU-Generalsekretär Peter Tauber zu haben. Das habe ihr Behrends selbst erzählt. Jenna Behrends gab daraufhin eine eidesstattliche Erklärung ab: "Es gab keine sexuellen Handlungen zwischen Peter Tauber und mir."

Über Wochen stand Behrends im Mittelpunkt einer Schlammschlacht, die man mit "Sex, Lügen und CDU" überschreiben könnte. Gerüchte wurden gestreut, private Chat-Nachrichten an die Presse durchgestochen. Sie wünsche es niemandem, "dass plötzlich vermeintlich relevant ist, mit wem er oder sie schläft, obwohl das keine Rolle spielen sollte", sagt Behrends. "Das ist die allerhässlichste Seite, die Politik überhaupt haben kann."

Sandra Cegla ist heute nicht mehr in der Politik, sagt aber, dass sie wieder so handeln würde. Sie hätten sich damals "die Beine rausgerissen" in der Partei und Behrends' Vorwürfe unfair gefunden. Cegla wirkt noch immer empört über Behrends' Brief, der für sie vollkommen aus dem Nichts kam. Behrends hat dafür inzwischen Verständnis. "Wenn etwas plötzlich aufploppt, und noch dazu öffentlich, denken viele natürlich erst einmal: Was hat die denn für ein Thema?"

Es ist immer schwer, das Richtige zur falschen Zeit zu sagen. In der Politik kann es Karrieren zerstören. Würde sie mit dem heutigen Wissen anders handeln? "Das ist hypothetisch", sagt Behrends, "denn das ist jetzt Teil meiner Biografie, und ich kann mich nur fragen, wie ich weitermache."

Bis zur nächsten Wahl in Berlin hält sie noch durch in der Politik. Ein Abend im März. Behrends hat ihre vollgepackte Bibliothekstasche dabei, die Bezirksverordnetenversammlung liegt vor ihr. Eine Sitzung bis Mitternacht, die Aufwandsentschädigung reicht nicht einmal für die Babysitterin. Um Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht es dann auch in ihrem Buch "Rabenvater Staat". Es passt zu ihr, es ist ein sorgfältig recherchierter Text über Familienpolitik und darüber, wie rückwärtsgewandt diese noch immer ist. Nicht zuletzt will Behrends, dass man gleichzeitig Eltern sein und Politik machen kann.

Sie selbst erwartet im Sommer ihr zweites Kind, aber sie wird kaum Mutterschutz und keine Elternzeit nehmen können, "weil ja sonst meine Stimme fehlt". Eine Kollegin aus ihrem Bezirk musste ihr politisches Amt niederlegen, weil sie es mit der Familie nicht mehr schaffte. An diese Frauen müsse man doch ein Signal senden, sagt Behrends. Dass sie in der Politik willkommen sind, man für sie Lösungen suche. Man wünscht ihr, dass sie mit ihrem Thema diesmal nicht zu früh dran ist.

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Quelle:
SZ vom 06.04.2019
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