Süddeutsche Zeitung

Moderne Senioren:In Topform

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Altern ist eine Zumutung, hat Loriot einmal gesagt. Von wegen. Alt sein, so scheint es plötzlich, kann Spaß machen. In Romanen wie "Nacktbadestrand" plädieren exaltierte Damen über 60 für heiteren Alterssex. Es scheint, als stürzten sich die Senioren von heute fast schon ausgelassen in den Ruhestand.

Cathrin Kahlweit

Im Grunde sind es immer wieder die gleichen, so selbstironischen wie zweiflerischen Zitate, mit denen das Alter beschrieben wird. Da ist der Satz: "Altern ist nichts für Feiglinge" der Hollywood-Diva Mae West. Da ist der Literat Philip Roth mit seiner Feststellung: "Alter ist ein Massaker." Und da ist Vicco von Bülow alias Loriot mit dem Ausruf: "Altern ist eine Zumutung!"

All diese Sätze werden natürlich auch in der neueren Literatur zum Altern aufgegriffen, die derzeit eine erstaunliche Konjunktur erlebt. Und doch: Der Ton hat sich geändert. Alt sein, so scheint es plötzlich, kann Spaß machen.

Von wegen Massaker und Zumutung: In Romanen wie "Nacktbadestrand" oder "Nein! Ich will keinen Seniorenteller!" plädieren exaltierte Damen über 60 für heiteren Alterssex, und in dem als Erwachsenen-Comic getarnten, etwas kreischigen Ratgeber "Alter Sack, was nun?" gibt es zahlreiche Tipps dafür, wie man es am Gehstock "noch krachen lassen kann".

Sven Kuntze wiederum beschreibt mit Respekt vor der dritten Lebensphase, wie man das hinkriegt - "Altern wie ein Gentleman", und Blacky Fuchsberger berichtet in "Altwerden ist nichts für Feiglinge", dass er gerne alt sei und den ihm erwiesenen Respekt genieße. Die Bestsellerautoren stellen sich damit in eine Reihe mit dem ehemaligen Bürgermeister von Bremen, Henning Scherf, der schon vor Jahren mit "Grau ist bunt" die Tonlage setzte für ein angstfreies, aktives Seniorenleben.

Mitunter schießt die Botschaft vom frohen Altern auch übers Ziel hinaus, wie etwa in dieser Verlagswerbung: "Es ist großartig, 65 zu sein! Man kann sich langweilen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, man kann anderen Leute stundenlang aus seinem Leben erzählen, ohne dass die den Mut hätten, einen zu unterbrechen, und man kann sich glücklich eingestehen, dass es für gewisse Dinge zu spät ist und die Balletttänzerinnenkarriere getrost vergessen."

Ganz so rosig und durchweg federleicht ist die dritte Lebensphase eben auch nicht. Dass sich im Alter erst die wahre Freiheit einstelle, ja, dass das Alter doch eigentlich die neue Jugend sei, diese Behauptung ist genauso irreführend wie das Katastrophenszenario von damals. Man muss das Altsein nicht verklären, um ihm gelassen zu begegnen. Immer mehr Menschen haben diese Gelassenheit. Woher kommt sie?

Gut möglich, dass die Sicht auf das Alter zyklisch zwischen Bedrohung und Bereicherung schwankt. Gut möglich auch, dass nach der Welle der Superweiber und Supernannys mal wieder die Welle der Supergreise auf den medialen Marktplatz schwappt. Sicher ist jedoch, dass sich die Lebenswirklichkeit der über 65-Jährigen (und zu ihnen gehört mittlerweile jeder fünfte Deutsche) geändert hat - hin zu mehr Selbstbestimmtheit, mehr Genuss, mehr Spaß.

Vorbei die Zeiten, in denen man sich vor dem Altsein fürchten musste, weil es existenzielle Qualen wie Einsamkeit, Armut und Siechtum bereithielt. Diese Phase kommt zwar, todsicher sogar, aber erst später.

Die Senioren von heute haben mit ihrer längeren Lebenserwartung eine Dekade gewonnen, die es gut zu leben gilt, und so stürzen sich jährlich Zehntausende, mit Gesundheit und einer stattlichen Rente ausgestattet, fast schon ausgelassen in den Ruhestand. Sie beginnen ein Germanistikstudium, sie helfen bei der Betreuung der Enkel mit, sie kaufen ein Wohnmobil und reisen um die Welt. Sie sind Pioniere, die neuen Alten.

Sven Kuntze beschreibt das so: "Uns hat es in der Menschheitsgeschichte noch nicht gegeben. Wir haben zwar keine Kriege geführt, stattdessen aber Lebenszeit erobert, die nun abgelebt sein will." Das Alter sei bis ins 19. Jahrhundert hinein die seltene Ausnahme gewesen. "Welche Konsequenzen das verlängerte, anspruchsvolle Dasein nun für unsere Nachkommen, die Umwelt, die Sozialsysteme und den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben wird, ist noch nicht bedacht."

Unklar ist auch noch die richtige Bezeichnung für dieses Phänomen: Goldies, Best Agers, Silver Agers, Woopies (Well off elder generation), oder: Voralter, weil das zweite, das schmerzliche, das harte Alter nur nach hinten verschoben ist.

Zur Euphorie der Literaten über diese Generation gesellt sich die Begeisterung der Werber, die in den aktiven Senioren eine zahlungskräftige Zielgruppe ausgemacht hat. Es ist Potential, das genutzt werden will, und so hat auch die Politik die neuen Alten im Visier.

Die Studie "Ältere Menschen in Deutschland und Europa", die das Bundesfamilienministerium im Juni auf seine Webseite gestellt hat, wird von einem attraktiven, grauhaarigen Paar und der Mahnung geschmückt, beim Stichwort Alter nicht immer an Gebrechlichkeit und Pflegebedürftigkeit zu denken, sondern, im Gegenteil, an "Chancen und Potenziale".

Kein Wunder: Nur vier Prozent der 55- bis 85-Jährigen geben dem Deutschen Alterssurvey zufolge bei der Frage nach der Lebenszufriedenheit an, diese sei "eher niedrig".

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Quelle:
SZ vom 09.07.2011
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