Süddeutsche Zeitung

Lebensmittelplagiate:Gel-Schinken und Kunst-Käse

Lesezeit: 2 min

Der Käse besteht aus Pflanzenfett, der Schinken aus Stärke-Gel: Um Kosten zu sparen, nutzen immer mehr Hersteller Zutaten, die nicht in diese Lebensmittel gehören.

Anna-Lena Roth

Eigentlich müsste man mit einem Minilabor, einem Taschenrechner und sehr viel Zeit durch die Supermarktgänge streifen. Vielleicht hätte man dann eine Chance, zu erkennen, wann echter Käse im Einkaufswagen landet und wann es sich um den sogenannten Analog-Käse handelt - eine Mischung aus Wasser, pflanzlichen Fetten, Eiweiß, Stärke, Farbstoffen und Aromen.

Nicht nur beim Käse wird getrickst: Wer denkt, Frühstücksschinken besteht aus einem natürlich gewachsenen Stück Fleisch, muss mittlerweile als naiv gelten und sollte besser genau hinschauen. Denn häufig handelt es sich bei der Schinken-Scheibe nur um ein Stärke-Gel, in das Fleischstückchen eingesetzt werden. Kleingeschnitten wird der Kunst-Schinken über Pizzen oder Salate gestreut und ist vom normalen Schinken kaum zu unterscheiden. Der Verbraucher merkt meist nichts davon - und der Hersteller freut sich über 40 Prozent Ersparnis.

Am Mittwoch berichtete der Donaukurier, dass bei Proben in Bayern in 30 von 78 Fällen Imitate statt des angeblichen Schinkens gefunden wurden. Ähnlich sieht es auch bei anderen Lebensmitteln aus: Für den Geschmack im Eis sorgt nicht mehr die Vanilleschote, sondern synthetisch hergestellte Aromen. Und das Pesto, das mit der "original italienischen Rezeptur" wirbt, besteht häufig nicht nur aus Pinienkernen und hochwertigem Olivenöl, sondern wird mit billigeren Ersatzzutaten wie Cashew-Nüssen und Sonnenblumenöl gestreckt. Die "Schokofüllung" bei Keksen hat mit Schokolade nichts mehr zu tun - oft handelt es sich dabei um eine minderwertigere Masse aus Kakao und Stärke. Und was als Krebsfleisch angepriesen wird, ist oft nichts anderes als gepresstes Fischeiweiß.

Nur 60 Prozent Fleisch im Schinken

"Dass Verbraucher in die Irre geführt werden, ist leider die Regel", sagt Martin Rücker vom Verein Foodwatch, der sich für die Rechte der Verbraucher einsetzt. "Dabei wissen die Behörden in Bayern seit 15 Jahren von solchen Betrugsfällen. Aber die Hersteller solcher Kunst-Produkte werden nicht veröffentlicht." Stattdessen würden Statistiken über den durchschnittlichen Fleischgehalt im Schinken erhoben. Der ist mittlerweile auf unter 60 Prozent gesunken.

Die Hersteller verweisen unterdessen auf die Verpackung: Dort sei jede Zutat vermerkt. Damit sind sie rechtlich abgesichert - doch nur die wenigsten können das Kleingedruckte entziffern und verstehen, was es bedeutet.

Ernährungsexpertin Heidrun Schubert von der Verbraucherzentrale München rät deshalb dazu, sich das Zutatenverzeichnis ganz genau anzuschauen, denn der am meisten enthaltene Stoff steht an erster Stelle. "Wenn auf einer Packung Erdnüsse von Wasabi-Geschmack die Rede ist, sollte man nachlesen, wie dieser hergestellt wird." Wenn dann statt des japanischen Meerrettichs nur von Aromen und Geschmacksverstärkern die Rede sei, handelt es sich um ein Imitat, sagt Schubert. Und ein Verbraucher, der weiß, dass Cashew-Kerne nicht in ein Pesto gehören, wird auf die Angabe in der Zutatenliste nicht reinfallen.

Um dieses Wissen zu schulen, veranstaltet die Verbraucherzentrale auf Nachfrage Einkaufstrainings. Hilfe bietet auch die Internetseite www.abgespeist.de, bei der man die Zusammenstellung einzelner Produkte nachlesen kann. Die Betreiber haben es sich zur Aufgabe gemacht, Werbelügen zu enttarnen: zum Beispiel, dass die neue, von Alfons Schuhbeck beworbene Champignon-Creme-Suppe aus der Dose nicht viel mehr enthält, als die herkömmliche Tütensuppe.

Der Verbraucher sollte die Wahl haben

Mehr Transparenz forderte auch Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner am Mittwoch in Berlin: "Da, wo Schinken oder Käse draufsteht, muss auch Schinken oder Käse drin sein", sagte sie. "Es sollte eine freiwillige Selbstverpflichtung der Gastronomie geben, solche Produkte nicht mehr anzubieten." Die CSU-Politikerin warnte die Wirtschaft vor negativen Folgen. "Wenn sich das mal einschleicht, hat man auch einen Ruf zu verlieren. Der alleinige Preiskampf vermindert deutlich die Qualität der Lebensmittel."

Schädlich für die Gesundheit sind diese Ersatzprodukte zwar nicht. Doch Betrug bleibt Betrug, findet Rücker. "Fair wäre es, wenn offen gekennzeichnet wäre, bei welchen Lebensmitteln es sich um Imitate handelt." Denn dann könnte der Käufer wenigstens selbst entscheiden, was in seinem Einkaufswagen landet.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.116886
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
sueddeutsche.de/dpa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.