Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Vor Gericht:Merkwürdige Inszenierung

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Bei einer Verhandlung liegt schon kurz nach dem Urteilsspruch die fertige Pressemitteilung dazu vor. Und auch manch anderes irritiert unseren Kolumnisten.

Von Ronen Steinke

Vor Gericht ist es manchmal wie bei einer Theatervorstellung, manches kommt erst ans Licht , wenn etwas schiefläuft. Wenn die Akteure also mal kurz aus ihrer Rolle fallen oder wenn auf andere Weise ihre Inszenierung ins Stolpern gerät, zumindest für einen kurzen Moment.

So wie im März 2022, als die AfD erstmals gegen den Verfassungsschutz klagte und die Prozessparteien sich zum lang erwarteten mündlichen Termin vor dem Verwaltungsgericht Köln trafen. Quälende zehn Stunden lang. Es war warm in dem Saal mit Kristalllüstern, den das Gericht eigens angemietet hatte. Nur zu verständlich, dass der Vorsitzende Richter am Abend nur noch eine schwache Stimme hatte und blass aussah. Mitten im Satz wirkte er plötzlich wie versteinert, sagte, er müsse kurz unterbrechen, stand schwankend auf, verließ den Saal durch eine Seitentür. Nach einem kurzen Schreckensmoment folgten ihm die beisitzenden Richter, um nach ihm zu sehen.

Nach ein paar Minuten war der Richter wieder da, machte kommentarlos weiter, hatte es jetzt aber sehr eilig, fertig zu werden. Wir Journalisten haben in unseren Berichten kein Wort über seinen kurzen Ausfall verloren, auch im Saal blieben alle rücksichtsvoll und höflich, auch die Vertreter der AfD. Im Protokoll des Gerichts wurde nur lakonisch notiert: "Die Sitzung wird um 18.40 Uhr unterbrochen und um 18.51 Uhr fortgesetzt."

Aber: Die Pressemitteilung, die das Gericht dann kurz darauf verteilte, behauptete erstaunlicherweise, der Richter habe mit großer Geduld weitergemacht, er habe im Prozess noch sehr ausführlich dies und jenes erklärt, begründet, argumentiert. "In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Vorsitzende Richter der zuständigen 13. Kammer aus", stand da schwarz auf weiß - wo doch jeder, der im Saal dabei gewesen war, wusste, dass der Richter in Wahrheit nach seinem kurzen Schwächeanfall sehr kurz angebunden war.

Was das Verwaltungsgericht da als Pressemitteilung in die Welt hinausschickte, war an dieser Stelle einfach nicht wahr. Offenbar war diese Pressemitteilung schon vorab geschrieben worden. Noch interessanter: Die Pressemitteilung lag außerdem schon in dem Moment fertig ausgedruckt bereit und wurde von den Pressesprechern verteilt, als der Prozess aufhörte. Das heißt: Das Urteil in all seinen Details war von den Richtern offenbar schon zu einer Zeit getroffen worden, als im Saal offiziell noch die Verhandlung lief.

Das überrascht vielleicht nicht so sehr, wenn man bedenkt, wie viele Monate lang die AfD und der Verfassungsschutz zuvor schon alle juristischen Argumente schriftlich ausgetauscht hatten. Aber es legt dann doch eindrucksvoll offen, was dieser Tag der mündlichen Verhandlung vor Gericht war: Theater.

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