Süddeutsche Zeitung

Kindererziehung:Prügel im Namen des Vaters

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Schläge als zentrale Erziehungsmethode auch bei Kleinstkindern: Ein Buch gibt Tipps zu rechtswidriger Pädagogik und beruft sich dabei auf die Bibel.

Von Ulrike Heidenreich

Besonders zu beachten: Das Kind müsse den Schmerz spüren, wenn Mutter oder Vater zur Rute greift. Der Erziehungsberater rät deshalb dazu, das Kind auszuziehen. "Es hilft nichts, wenn Windeln oder andere Kleidungsstücke das Disziplinieren zur Streicheleinheit machen."

Dies ist der Originalton eines Buches, dessen Vorläufer die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BpjM) indiziert hatte. "Eltern, Hirten der Herzen" durfte seit 2013 nicht mehr per Versandhandel Jugendlichen zugänglich gemacht werden. Nun ist es wieder auf dem Markt aufgetaucht, unter neuem Titel, mit neuer Aufmachung. Der Inhalt ist jedoch fast wortgleich. Auch in "Kinder Herzen erziehen" gibt ein amerikanischer Pastor in deutscher Übersetzung detaillierte Anleitungen, wie selbst Kleinkinder abzustrafen seien.

Wenn Eltern ihre Kinder schlagen, kann dies in Deutschland als Körperverletzung geahndet werden. Das "Recht auf gewaltfreie Erziehung" ist seit dem Jahr 2000 im Bürgerlichen Gesetzbuch verankert. "Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere Körperstrafen und seelisch verletzende Sanktionen" sind unzulässig. Auch die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen schreibt den Schutz des Kindes "vor jeder Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung" vor.

Zur Rechtfertigung für die Prügelstrafe führt der Autor Bibelstellen an

Im Buch "Kinder Herzen erziehen" ist praktisch alles davon zu finden. Unter dem Leitsatz "Die Rute ist per Definition eine elterliche Pflicht" gibt der amerikanische Autor Tedd Tripp auf dem Buchdeckel an, "Mut zur Erziehung" machen zu wollen. Zur Rechtfertigung wimmelt es nur so von Bibelstellen wie diesen: "Züchtige deinen Sohn, so wird er dich erquicken und dir Freude machen" (Sprüche 29,17) oder "Entziehe dem Knaben die Züchtigung nicht! Wenn du ihn mit der Rute schlägst, wird er nicht sterben" (Sprüche 23,13).

Bei evangelisch-freikirchlichen Glaubensgemeinschaften in Deutschland war Tripps Erstlingswerk ein Bestseller. Dann kam es auf den Index, wurde nicht mehr nachgedruckt. Gebrauchte Ausgaben werden zurzeit von 100 Euro an beim Versandhändler Amazon gehandelt. Rechtlich bewegt sich dies im Graubereich. Denn wie lässt es sich ausschließen, dass Minderjährige das Buch bestellen, obwohl es auf dem Index jugendgefährdender Schriften steht?

Ein Verlag, der sich den Namen "Verein Fröhliche Familien" gegeben hat und die Schweiz als Firmenort nennt, will nun auf dem Erfolg aufbauen. Er hat eine, wie es auf dem Cover heißt, "stark überarbeitete Neuausgabe" herausgebracht. Vertrieben wird sie aktuell von mehreren Onlinehändlern in Deutschland, die mit "ausgewähltem bibeltreuem Sortiment" werben. Die Änderungen jedoch sind marginal. So wurde etwa in einem Satz, den die Bundesprüfstelle in ihrer Entscheidung aus dem Jahr 2013 klar als Aufforderung des Autors an die Eltern gewertet hatte, ihre Kinder zu schlagen, nur ein Wort geändert. "Erziehungsmaßnahmen" heißt es nun statt "Züchtigung". Das hört sich dann so an: "Körperliche Erziehungsmaßnahmen anzuwenden, ist auch ein Akt des Glaubens. Gott hat ihren Gebrauch angeordnet."

Bei der Bundesprüfstelle zeigte man sich nach der Anfrage der Süddeutschen Zeitung überrascht. "Dieses Buch liegt uns noch nicht vor. Natürlich aber gelten die Rechtsfolgen einer Indizierung auch für inhaltsgleiche Werke", sagte die Vize-Vorsitzende Petra Meier am Freitag. Ein Gremium, das die Vorläufer-Ausgabe geprüft hatte, war zu dem Schluss gekommen, die Rechte des Kindes würden in dem Buch konsequent negiert. Die Texte suggerierten, dass Kinder und Jugendliche in Übereinstimmung mit den Wertvorstellungen unserer Gesellschaft und der Bibel durch Schläge zu Demut, Gehorsam und völliger Unterordnung erzogen, beziehungsweise "trainiert" werden sollten.

Als besonders gravierend empfanden die Prüfer der Bundesstelle Passagen, in denen das Schlagen von kleineren Kindern - vom Säugling bis zum Vorschulalter - eher gefordert wird als für ältere Kinder; schließlich könne man mit letzteren ja schon reden. Als Beispiel nennen die Prüfer: "In Lehrmethoden gesprochen: Du brauchst beide Vorgehensweisen, die Gott verordnet hat, die ,Rute' und die Kommunikation. Da du mit kleinen Kindern zu tun hast, liegt der Schwerpunkt auf der spürbaren Erfahrung körperlicher Züchtigung." Auf Seite 202 der Neuerscheinung findet sich exakt dieser Satz, lediglich "Züchtigung" wurde durch "Disziplinierung" ersetzt.

Petra Meier will die Neuerscheinung von Experten in ihrem Hause nun prüfen lassen. "Wenn man indiziertes Material regelwidrig verbreitet, ist dies nach dem Jugendschutzgesetz mit Geld- oder Freiheitsstrafe bewehrt", sagt sie. Denn die Vorgaben aus dem Jahr 2013 waren klar: Bücher, deren Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien bekannt gemacht ist, dürfen weder im "Wege des Versandhandels" oder "öffentlich an einem Ort, der Kindern oder Jugendlichen zugänglich ist", angeboten werden.

"Was steht höher? Das Wort Gottes oder das Recht?"

Die "Christliche Versandbuchhandlung" hat das Buch von Tripp für 11,90 Euro im Sortiment. Inhaber Martin Häfner sagte auf Anfrage, zum ersten Mal von indiziertem Inhalt zu hören: "Außerdem kaufen bei mir keine Jugendlichen." Mit Verweis auf die Bibel sagte der Versandhändler aus Wendelstein: "Was steht höher? Das Wort Gottes oder das Recht?". Das Buch sei "wichtig für die Erziehung", jeder müsse für sich selbst entschieden, wie er damit umgehe. "Mir hat früher ein Klaps nicht geschadet." Was Kindern heute durch moderne Medien angetan werde, sei gefährlicher. Auch Walter Penner, dessen Verlag "Voice of Hope" von Reichshof-Mittelagger aus das Buch vertreibt, sagt: "Wenn ich das, was in der Bibel steht, nicht umsetzen darf, gilt für die Menschheit und das Land Alarmstufe Rot."

Autor und Verlag sind sich der rechtswidrigen Buchinhalte bewusst und geben den Lesern Tipps, wie sie sich vor Strafverfolgung schützen können. In einem Serviceteil raten sie beim Punkt "Ich habe Angst, angezeigt zu werden", nach Hause zu gehen, damit niemand beim Prügeln zusehen kann: "Disziplinierung sollte keine öffentliche Angelegenheit sein, sondern eine Sache des privaten, vertrauten Rahmens der Eltern-Kind-Beziehung." Es folgt ein Sieben-Punkte-Plan für die Reihenfolge des Vorgehens. Anfangs müsse dem Kind das Strafmaß mitgeteilt werden. Und am Ende: "Wenn du dein Kind diszipliniert hast, nimm es auf deinen Schoß und umarme es. Sag ihm, wie sehr du es liebst und wie sehr es dich schmerzt, dass du es disziplinieren musstest."

Die Kinderschutzorganisation Terre des Hommes beobachtet mit Sorge, wie in evangelikal-konservativen Milieus das Schlagen von Kindern propagiert wird. Züchtigungen würden das Kindeswohl beeinträchtigen, sagt Sprecher Wolf-Christian Ramm. Die Bundesprüfstelle war zu dem Schluss gekommen, dass Autor Tripp und sein Buch geeignet seien, eine "Störung des friedlichen Zusammenlebens aller in Deutschland lebenden Menschen hervorzurufen". Die Misshandlungen und Demütigungen stünden in klarem Widerspruch zu den Menschenrechten - die jedes Kind besitzt.

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Quelle:
SZ vom 12.08.2017
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