Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Ladies & Gentlemen:Mehr Schein für weniger Scheine

Lesezeit: 2 min

Geschenke, die auf den ersten Blick deutlich teurer aussehen, als sie sind? Im Inflationswinter noch wichtiger als sonst!

Von Max Scharnigg und Julia Werner

Für sie: Die leichten Brillanten

Höchste Zeit, sich über Geschenke Gedanken zu machen, liebe Herren! Allerdings werden Damen aller Geschlechter in diesem Winter Milde walten lassen müssen, schließlich baumeln Inflationspanik und Energierechnungsangst über unser aller Häuptern wie Kugeln am Weihnachtsbaum. Schmuck ist ein beliebtes Präsent an Weihnachten, das sieht man an den Schlangen vor Tiffany und Cartier, wo so mancher sein letztes Hemd für Einstiegspreisprodukte hergibt, um die Angebetete zufriedenzustellen. Damit muss Schluss sein. Aber man will doch trotzdem für kleines Geld die volle Glitzerladung kriegen! Die Lösung heißt: Tennis Necklace. Das ist gerade wieder angesagt, löst das ganze vergoldete Layering-Gedöns der letzten Jahre endlich ab und funkelt schön zu Abendkleid und Sweatshirt. Und es gibt sie auch in dieser hübschen Kristallversion von Swarovski. Die leert das Konto nicht ganz und füllt dafür sogar noch die angespannte Heiligabendstille mit lustiger Konversation! Warum heißt so eine Kette nämlich Tenniskette? Wegen Chris Evert, die in den 70er-Jahren als Erste ein Diamantenarmband beim Tennisspielen trug. Bei den US Open 1978 flog das Ding auseinander, und das Spiel musste unterbrochen werden, bis sie all ihre Diamanten wiedergefunden hatte. Schlicht aufgereihte Funkelsteine aller Art werden seitdem mit dem Wort Tennis versehen. Man würde an dieser Stelle gerne sagen, dass man sein Spiel nicht unterbrechen muss, wenn Strasssteine in alle Richtungen springen, aber selbst das entspricht leider nicht der Konjunkturlage.

Für ihn: Die billige Omega

Eine Swatch-Armbanduhr, die auf den ersten Blick aussieht wie eine Omega Speedmaster, inklusive der entsprechenden Schriftzüge und Logos? Dass diese Idee erstens umgesetzt und zweitens ein Riesenerfolg werden würde, darauf hätten vor einem Jahr wohl nicht viele in der Branche gewettet. Nun ist es aber so gekommen, die sogenannte Moonswatch ist der Uhrenhype 2022 und mit jeder neuen Auflage wieder eilig ausverkauft. Klar, Omega gehört zum Swatch-Konzern, aber der Graben zwischen den beiden Welten ist normalerweise um die 6000 Euro breit. Diese Feier der Kopie ist also ein Tabubruch - und damit nach langer Zeit mal wieder ein echter Swatch-Coup. Aber was für einen Sinn macht so eine Möchtegern-Omega für 260 Euro? Nun, die Botschaft des Trägers ist womöglich postkonsumistisch und damit ziemlich angesagt. Sie lautet: Ich kenne die echte Speedmaster, aber mir genügt der Kunstdruck. Der Hype reiht sich auch ein in das Verwirrspiel mit Logos, das die Fashionbranche seit einiger Zeit so begeistert betreibt: DHL-Logos auf Vetements-Shirts, falsch geschriebene Markennamen bei Diesel, Adidas-Streifen auf Gucci-Zeug und so weiter. Der Anschein einer Fälschung, das absichtlich schlecht Kopierte, hat heute auf die junge Käuferschicht einen größeren Reiz als das gediegene Original. Echte Speedmaster? Ne, die hat mein Vater! Davon abgesehen ist das Biokeramik-Gehäuse der Moonswatch wirklich gut geraten und an betuchten Handgelenken doch wieder ein Statussymbol. Denn erstens ist sie ständig vergriffen, also auf ihre Art auch rar. Zweitens wirkt die Uhr umso lässiger, wenn der restliche Träger ausstrahlt: Ich hätte auch drei echte Omegas zu Hause, aber das hier ist gerade witziger.

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